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Krieg und Frieden - Institut für soziale Dreigliederung

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prüft, eigentlich nur durch eine Art von Irrtum, denn auch ihr war ein anderes Schicksal zugedacht. Diese etwas komplizierte Ehegeschichte<br />

Heinrichs VIII., der, wie gesagt, vom Jahre 1509 bis 1547 regierte, möchte ich weniger ihres historischen Inhaltes willen<br />

anführen, als mehr um hinzuführen zu einer Betrachtung des Charakters Heinrichs VIII. Denn man kann schon etwas Anschauung<br />

über den Charakter bekommen, wenn man weiß, daß eine Persönlichkeit zwei Frauen hat hinrichten lassen <strong>und</strong> sich von einer gewissen<br />

Anzahl hat scheiden lassen <strong>und</strong> so weiter.<br />

Nun aber, rein äußerlich, historisch genommen, spielt die Scheidung von der ersten, von Katharina von Aragonien, eine gewisse<br />

bedeutsame Rolle; denn man braucht nur zwei Ereignisse ins Auge zu fassen, um diese gewichtige Rolle äußerlich zu charakterisieren.<br />

Erstens wurde, weil der Papst sich weigerte, die Ehe zu scheiden, der «Defensor fidei», der Verteidiger des Glaubens, wie er sich<br />

zuerst nannte, das heißt des katholischen, von Rom ausgehenden Glaubens, Gegner des Papstes, Gegner der von Rom aus zu führenden<br />

katholischen Kirche, <strong>und</strong> trennte einfach durch seine Machtmittel die englische Kirche von der allgemeinen katholischen<br />

Kirche, so daß eine Art Reformation eintrat; aber eine Reformation ganz eigener Art, darin bestehend, daß die alten Gebräuche,<br />

Zeremonien, Ritualien beibehalten wurden. Es war also nicht so, wie es bei den Protestanten war, daß wirklich aus einer geistigen<br />

Gr<strong>und</strong>lage <strong>und</strong> geistigen Kraft heraus eine Erneuerung gesucht worden ist, sondern es wurde alles Religiöse beibehalten. Nur innerhalb<br />

Englands sollte die Kirche abgetrennt werden von der allgemeinen katholischen Kirche, weil eben der Papst sich weigerte,<br />

die Ehe Heinrichs VIII. zu scheiden. Also um eine andere Frau zu bekommen, begründete dieser Mann <strong>für</strong> sein Volk eine neue Kirche,<br />

die seither besteht. Wir haben also die äußere historische Tatsache, daß Millionen <strong>und</strong> Millionen von Menschen durch Zeitalter<br />

hindurch in einem Glaubenszusammenhange leben, weil eines Königs Scheidung nur dadurch bewirkt werden konnte, daß er<br />

diesen Glaubenszusammenhang schuf! Es ist äußerer historischer Zusammenhang. Ist das nicht eine Absurdität? Und wenn man<br />

genauer sich die Sache ansieht, dann kommt auch noch eine innere Absurdität dazu, eine richtige innere Absurdität; denn es ist gar<br />

nicht zu leugnen, daß Tausende <strong>und</strong> aber Tausende von Menschen seit der Scheidung Heinrichs VIII., das heißt seit der Begründung<br />

der englischen Kirche, in diesem Glaubenszusammenhange, der auf so fragwürdige Weise entstanden ist, wirklich tiefes<br />

religiöses inneres Leben gef<strong>und</strong>en haben. Das heißt: Es entsteht etwas in der Geschichte durch eine höchst fragwürdige Ursache,<br />

<strong>und</strong> die Früchte, die eintreten, können <strong>für</strong> Tausende <strong>und</strong> aber Tausende von Menschen die am meisten innerlich Seelenheil bringenden<br />

sein, sind es auch gewesen. Man ziehe nur die Konsequenzen der Dinge. Man huscht so über die Dinge in ihrer Entwickelung<br />

hinweg; aber man ziehe die Konsequenzen solcher Dinge, dann wird man sehen, daß man auf die verschiedensten Absurditäten<br />

kommt, wenn man unter dem Gesichtswinkel die Tatsachen betrachtet, unter dem man sie heute betrachtet.<br />

Ich sagte, diese eine Tatsache ist eingetreten; aber auch noch eine andere Tatsache haben wir zu verzeichnen. Das ist die Tatsache<br />

der Hinrichtung des Thomas Morus (…).<br />

Und so sehen wir gerade in einer solchen Hinrichtung, wie die des Thomas Morus ist, in diesem Zeitalter <strong>und</strong> in der Entstehung<br />

der englischen Kirche zwei Ereignisse, die, wenn man sie ihrem Sinne nach kennt, ihrem tieferen Sinne nach kennenlernen will,<br />

eben auch tiefer betrachtet werden müssen. Nur unter gewissen Voraussetzungen kann man verstehen, warum die angedeutete Entwickelung<br />

sich so, wie sie geschildert worden ist, vollzogen hat. Man kann diese Entwickelung nur verstehen, wenn man gerade<br />

hervorragende Geister betrachtet innerhalb dieser Entwickelung, wie sie gefolgt ist auf das Zeitalter <strong>und</strong> auf die Taten Heinrichs<br />

VIII.<br />

Betrachten wir zunächst nur den Umstand, daß da ein Glaubenszusammenhang geschaffen worden ist, um eine Ehescheidung<br />

herbeizuführen. Wie gesagt, <strong>für</strong> den einzelnen Menschen, wenn er religiös veranlagt war, brauchte das gar keine besondere Wirkung<br />

zu haben, denn er konnte sein Heil finden auch innerhalb der so entstandenen Kirche. Viele fanden es. Aber im ganzen geschichtlichen<br />

Zusammenhang, im geschichtlichen Werden seit jener Zeit sehen wir schon, daß durch diese äußerliche Herstellung eines<br />

Glaubenszusammenhanges etwas ganz Besonderes bewirkt worden ist. Dazu muß ins Auge gefaßt werden, was an geistigen Impulsen<br />

gerade von der Kulturgemeinschaft ausgegangen ist, in die dieser religiöse Zusammenhang hineingestellt worden ist. Man<br />

muß da bei einer objektiven Betrachtung sich klar darüber sein, daß, nachdem in Europa der südwestliche Einfluß an geistigen<br />

Impulsen mehr <strong>und</strong> mehr zurückzusinken begann, der Einfluß der englischen Kultur immer mehr <strong>und</strong> mehr wuchs. Der Einfluß der<br />

englischen Geistesimpulse wurde immer stärker <strong>und</strong> stärker, wurde stark zunächst auf dem Westen des europäischen Kontinents,<br />

dann auf dem ganzen europäischen Kontinent, <strong>und</strong> wenn man von den stärksten Einflüssen in geistiger Beziehung mit Bezug auf<br />

das 18. <strong>und</strong> 19. Jahrh<strong>und</strong>ert <strong>für</strong> Europa sprechen will, so muß man natürlich die von England ausgehenden Impulse ins Auge fassen.<br />

Da treten nun gewisse Leute auf innerhalb der englischen Kultur selber, welche von diesem Kulturimpulse beseelt sind; da treten<br />

zum Beispiel auch innerhalb Frankreichs gewisse Leute auf, in denen diese Kulturimpulse leben. In England Philosophen, zum<br />

Beispiel der außerordentlich einflußreiche Philosoph Locke. Gewiß, heute wissen nicht viele Leute etwas von Locke, aber die Einflüsse<br />

solcher Leute gehen durch Tausend <strong>und</strong> aber Tausend <strong>für</strong> das äußere Leben unsichtbare Kulturkanäle, <strong>und</strong> Locke hat einen<br />

ungeheuren Einfluß gehabt auf Voltaire, <strong>und</strong> wie hat Voltaire das europäische Denken beeinflußt! Aber Voltaires Einfluß geht auf<br />

Lockes Einfluß zurück. Wie viel ist geschehen unmittelbar unter dem Einflusse Locke-Voltaires! Wie viele Gedanken wären nicht<br />

über Europa gekommen, wenn dieser Impuls Locke-Voltaires nicht gewesen wäre. Wie anders hätte sich das politische, das <strong>soziale</strong><br />

Leben in Europa abgespielt, wenn Locke-Voltaire die europäische Seele nicht mit Gedanken gespeist hätten. In Frankreich sehen<br />

wir zum Beispiel wiederum dieselben Impulse leben in dem ungeheuer einflußreichen Montesquieu. Wenn wir dann auf den weiteren<br />

Gedankeneinfluß auf dem Kontinente sehen, so sehen wir, wie durch Hume, wie später durch Darwin das menschliche Denken<br />

revolutioniert wird. Und wiederum sehen wir, wie durch Locke-Voltaire, so durch Hume-Darwin ein ungeheurer Einfluß ausgeübt<br />

wird. Und als Marx, der Begründer des modernen Sozialismus, der einen Einfluß hat, welcher heute von denen, die sich Gebildete<br />

nennen, noch gar nicht abgeschätzt werden kann, weil dieser Einfluß in den breitesten Schichten lebt - als Marx sein gr<strong>und</strong>legendes<br />

Werk «Das Kapital» zu schreiben begann <strong>und</strong> seine Studien machte, da ging er nach England! Gewiß lebte Hegelianismus in<br />

Marx, aber darwinistisch gefärbter Hegelianismus. Und wer das Verfassungsleben der einzelnen europäischen Staaten im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

studiert, wer die Verfassungskämpfe studiert, der wird kennenlernen, wie tiefgehend der Einfluß der von dorther kommenden<br />

Kulturimpulse war. Das alles kann ja hier nur angedeutet werden.<br />

Wenn wir nun aber gerade die hervorragenden Persönlichkeiten, die also Europa eine gewisse Physiognomie geben, ins Auge<br />

fassen, dann finden wir bei ihnen überall ein besonders entwickeltes, abstrakt-rationalistisches Denken, ein solches Denken, wie es<br />

ein gutes, ein vorzügliches Instrument ist, um die physische Welt, die materielle Welt zu erforschen, kennenzulernen, zu behandeln<br />

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