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Krieg und Frieden - Institut für soziale Dreigliederung

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«Indem die bürgerlich leitenden Kreise gewissermaßen den Blick wie hypnotisiert nur auf den Staat gerichtet hatten, wurde ihnen<br />

der Staat etwas wie ein Götze. Es wurde die Aufmerksamkeit nicht hingelenkt auf die notwendige Differenzierung des <strong>soziale</strong>n<br />

Organismus in die drei Glieder. Und so kam es, daß in der neueren Zeit auch aufgesogen, absorbiert wurde von dem Staate, von dem<br />

politischen Leben im engeren Sinne das geistige Leben. Und ich habe schon aufmerksam darauf gemacht, daß zu diesem geistigen<br />

Gliede des <strong>soziale</strong>n Organismus nun auch gerechnet werden muß, was heute noch manchem nun auch paradox erscheinen wird, die<br />

wirkliche Praxis des privaten <strong>und</strong> des strafrechtlichen Urteilens. So sonderbar das klingt, auch da gibt es schon eine Tendenz im<br />

modernen Leben, die nur nicht in der richtigen Weise beurteilt wird. Was immer mehr <strong>und</strong> mehr von einer eben verfehlten Psychologie<br />

in Anspruch genommen worden ist <strong>für</strong> die Rechtsprechung, das ist es, was tendiert nach einem noch nicht erkannten, aber<br />

notwendigerweise zu erkennenden Prinzip der Einverleibung des privat- <strong>und</strong> strafrechtlichen Wirkens in das geistige Glied, das<br />

wiederum mit relativer Selbständigkeit dasteht, auch mit relativer Selbständigkeit dasteht gegenüber all dem Leben, das sich als<br />

das engere politische Leben entwikkelt, das sich als das Leben des öffentlichen Rechtes, der Gesetzgebung entwickelt. Gewiß, es<br />

wird in Zukunft in einem ges<strong>und</strong>en <strong>soziale</strong>n Organismus der Verbrecher zum Beispiel zu suchen sein von dem, was sich im zweiten<br />

Gliede, im politischen Gliede ergibt. Wenn er aber gesucht ist, dann wird er abgeurteilt von dem Richter, dem er in einem individuellen<br />

menschlichen Verhältnis gegenübersteht.<br />

Über diese Frage kann auch nur der vielleicht aus der Geschichte heraus urteilen, der wie ich, der zu Ihnen jetzt spricht, Jahre,<br />

jahrelang beobachten konnte auf einem Territorium, wo es wahrhaftig schwer wurde, einheitlich zu regieren, <strong>und</strong> wo man doch, ich<br />

möchte sagen, zwangsmäßig einheitlich staatlich regieren wollte: auf einem Territorium wie in Österreich. Da konnte man beobachten,<br />

was es ergeben hätte, wenn über die reinen Sprachgrenzen hinüber freie Gerichtsbarkeit dagewesen wäre; wenn sich trotz der<br />

Sprachgrenzen der in einem deutschen Gebiete wohnende Böhme den benachbarten tschechischen oder böhmischen Richter drüben,<br />

der böhmische Bewohner wiederum seinen Richter in dem deutschen Gebiete hätte wählen können. Man hat gesehen, wie<br />

segensreich dieses Prinzip gewirkt hat in dem leider Anfang gebliebenen Bestreben der verschiedenen Schulvereine.<br />

Darinnen liegt etwas, was, ich möchte sagen, wie ein schwerer Alpdruck heute noch immer dem, der dieses österreichische Leben<br />

miterlebt hat, auf der Seele ruht, daß dieses Ei des Kolumbus nicht gef<strong>und</strong>en worden ist: die freie Wahl des Richters <strong>und</strong> das lebendige<br />

Zusammenwirken des Klägers, des Richters <strong>und</strong> des Angeklagten, statt des Richters aus dem zentralisierten politischen Staate<br />

heraus, der nur maßgebend sein kann nicht <strong>für</strong> die Rechtsprechung, sondern <strong>für</strong> das Aufsuchen <strong>und</strong> Abliefern des Verbrechers oder<br />

dann <strong>für</strong> die Ausführung des Urteils.<br />

So paradox das heute noch der Menschheit klingt, es muß einverleibt werden das Verhältnis des Menschen zu seinem Richter in<br />

straf- <strong>und</strong> privatrechtlicher Beziehung dem geistig selbständigen Gliede. Schon vorgestern habe ich darauf aufmerksam gemacht,<br />

daß nicht abhängen wird die äußere Verwaltung, die Wahl der Personen in dem geistigen Gliede vom Staate.»<br />

Von keinem sprachfremden Richter abgeurteilt werden<br />

GA328, S.134-136, 1 1977, 25.2.1919, Zürich<br />

Dr. Roman Boos: Darf ich mir noch gestatten, die Frage an den Herrn Referenten zu richten in bezug auf das, was eben auf<br />

strafrechtlichem Gebiet gefragt worden ist? Nun,wenn von der Freiheit der Richter gesprochen worden ist, ob damit auch ein<br />

Verstoß gegen den Satz gemeint ist, daß keine Strafe ohne Gesetz ausgesprochen werden soll - wie mir scheint, ist das so gemeint,<br />

daß das Strafgesetz als solches doch nicht aus dem Gebiet des freien Geisteslebens heraus gegeben werden soll, sondern aus der<br />

politischen Instanz, daß die Frage wahrscheinlich ein Mißverständnis enthält bei dem Herrn Dr. Weiß, der gemeint hat, es werde<br />

ein Verstoß gegen das Prinzip gefordert, daß keiner zu einer Strafe verurteilt werden kann, der nicht ein bestimmtes Gesetz übertreten<br />

hat. - Darf ich vielleicht noch bitten, sich dazu zu äußern?<br />

Dr. Steiner: «Nicht wahr, in dieser Frage berühren sich ja selbstverständlich das System des öffentlichen Rechts mit dem System<br />

der praktischen Gerichtsbarkeit. Was ich betont habe, ist die Trennung des praktischen Richtens. Deshalb habe ich den Ausdruck<br />

«Richten» gebraucht, ausdrücklich des praktischen Richtens von dem allgemeinen öffentlichen Rechtsleben, das ich bei dem<br />

ges<strong>und</strong>en <strong>soziale</strong>n Organismus im politischen Staat zentralisiert so denken muß, daß der ges<strong>und</strong>e <strong>soziale</strong> Organismus in seinem<br />

öffentlichen Rechtsleben da<strong>für</strong> sorgen muß, daß entsprechend nach einem von ihm bestimmten Gesetze verfahren werden muß. Daß<br />

nicht in der willkürlichsten Weise gerichtet werden kann, das ist ganz selbstverständlich. Aber ich habe nicht an solche Dinge<br />

gedacht, die abstrakt sind <strong>und</strong> die in ihrer Abstraktheit mehr oder weniger selbstverständlich sind. Ich habe auch heute nicht über,<br />

sagen wir, den Wirkungsbereich des Rechtes zu sprechen gehabt, sondern ich habe über den <strong>soziale</strong>n Organismus <strong>und</strong> über <strong>soziale</strong>s<br />

Wollen zu sprechen gehabt. Und da bitte ich Sie, im Sinne des Themas das Folgende zu bedenken.<br />

Sehen Sie, ich habe eine fast ebensolange Zeit meines Lebens in Österreich zugebracht wie in Deutschland. Ich habe das österreichische<br />

Leben gründlich kennenlernen können; Sie dürfen mir glauben, daß es nicht eine abrupte Behauptung ist, wenn ich sage,<br />

daß vieles von dem, was im österreichischen sogenannten Staate in letzter Zeit geschehen ist, zusammenhängt mit Ereignissen, die<br />

sich gerade in den siebziger, achtziger Jahren des vorigen Jahrh<strong>und</strong>erts als tiefe Mißverhältnisse ergeben haben. Vergessen Sie<br />

nicht, daß in einem solchen Staate wie Österreich - auf anderen Gebieten würde sich das nicht in so radikaler Weise charakterisieren<br />

lassen, aber vorhanden ist es in dieser oder jener Form auch -, besonders weil in Österreich durcheinandergeschoben sind die verschiedenen<br />

Sprachgebiete, Sie es zum Beispiel erleben konnten, daß ein Deutscher, weil er gerade zufällig in irgendeinen Gerichtssprengel<br />

hineingehörte, in dem ein tschechischer Richter amtierte, der nicht Deutsch konnte, daß er abgeurteilt wurde von einem<br />

tschechischen Richter in einer Sprache, die er nicht verstand. Er wußte nicht, was über ihn geurteilt wurde <strong>und</strong> was geschah mit<br />

ihm; er merkte nur, daß man ihn abführte. Ebenso war es umgekehrt der Fall, wenn ein deutscher Richter, der nicht Tschechisch<br />

verstand, einen Tschechen aburteilte, der kein Deutsch verstand. Was ich meine, ist die individuelle Gestaltung, die freie Gestaltung<br />

des Verhältnisses des zu Verurteilenden zum Richter.<br />

Also ein solcher Staat wie Österreich hätte hiervon einen großen Erfolg zu erwarten. Aber dieser Impuls hätte erfordert, daß immer,<br />

<strong>für</strong> vielleicht fünf oder zehn Jahre - die Verhältnisse verschieben sich fortwährend -, jedenfalls von dem zu Verurteilenden<br />

oder zu Richtenden sein Richter hätte gewählt werden können, in freier Wahl des Richters.<br />

(Lücke im Stenogramm)<br />

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