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Editorial 17 - Zm-online

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90 Finanzen<br />

Internationaler Wohlstandsvergleich<br />

Armes Deutschland<br />

Joachim Kirchmann<br />

Mit der Bundesrepublik geht es wirtschaftlich bergab –<br />

seit 1980 allmählich, seit 1990 rapide. Das gilt vor allem<br />

für das Wirtschaftswachstum und das Pro-Kopf-Einkommen.<br />

Im globalen Vergleich rangiert der Spitzenreiter von<br />

einst in vielen wohlstandsrelevanten Kategorien mittlerweile<br />

unter „ferner liefen“.<br />

Wer rechnen kann und den<br />

Überblick behalten hat, dem ist<br />

bewusst: Bei den realen, um<br />

die Inflation bereinigten Bruttound<br />

Nettoeinkommen hat sich<br />

während der vergangenen zehn<br />

Am Tropf: Die deutsche Wirtschaft ist ein Pflegefall.<br />

Jahre in Deutschland nennenswert<br />

nichts verändert. Auch die<br />

Statistik belegt: Die Bruttolöhne<br />

und -gehälter der Arbeitnehmer<br />

stagnierten im Durchschnitt bei<br />

etwa 24 000 Euro im Jahr. Netto<br />

blieben davon gut 15 000 Euro.<br />

Das wäre weiter nicht tragisch,<br />

wenn sich in allen anderen industrialisierten<br />

Ländern dieser<br />

Welt ebenfalls Stagnation breit<br />

gemacht hätte. Das aber ist keineswegs<br />

der Fall, wenn man beispielsweise<br />

das verfügbare Pro-<br />

Kopf-Einkommen der führenden<br />

Nationen der Europäischen<br />

Union mit dem der führenden<br />

Wirtschaftsnation der Welt, den<br />

Vereinigten Staaten von Amerika,<br />

vergleicht.<br />

1980 hatte Deutschland mit<br />

jährlichen Sprüngen von rund<br />

fünf Prozent beim Wirtschaftswachstum<br />

etwa 85 Prozent des<br />

amerikanischen Wohlstandsniveaus<br />

erreicht. Die nachfolgenden<br />

Dänen und Franzosen lagen<br />

damals bei knapp unter 80 Prozent,<br />

die Niederländer bei unter<br />

75 Prozent und die stolzen Briten<br />

nur bei etwa 68 Prozent. Das<br />

notorisch arme Irland erreichte<br />

gerade mal gut 45 Prozent des<br />

US-Niveaus.<br />

Foto: CC/PhotoDisc/zm (M)<br />

Heute zeigt sich das Wohlstandsgefüge<br />

von damals im Vergleich<br />

zum Maßstab USA diametral verkehrt:<br />

Irland ist in Europa Spitzenreiter<br />

beim inflationsbereinigten<br />

Pro-Kopf-Einkommen. Es hat<br />

rund 90 Prozent des US-Niveaus<br />

erreicht. Dann folgen mit einigem<br />

Abstand Dänemark, die<br />

Niederlande und Österreich mit<br />

jeweils um die 80 Prozent. Die<br />

Briten haben, nicht zuletzt dank<br />

der Radikalreformen ihrer<br />

langjährigen Premierministerin<br />

Margret Thatcher, bis auf gut 75<br />

Prozent aufgeschlossen.<br />

Frankreich landet bei knapp unter<br />

75 Prozent, Deutschland ist<br />

bei knapp über 70 Prozent angekommen,<br />

im Vergleich zu 1980<br />

um rund 15 Prozentpunkte<br />

zurückgefallen. Damit ist die<br />

größte Wirtschaftsnation der EU<br />

nicht nur beim derzeit allseits<br />

beklagten Wirtschaftswachstum,<br />

sondern auch beim Einkommensvergleich<br />

unter den<br />

führenden EU-Nationen zum<br />

Schlusslicht degradiert. Hätte es<br />

1980 und dann noch einmal<br />

1990 keinen gravierenden Knick<br />

nach unten gegeben, könnte<br />

Deutschland heute mit dem<br />

Spitzenreiter Irland zumindest<br />

gleichziehen.<br />

Noch 1990 waren die Deutschen<br />

im europäischen Einkommensvergleich<br />

unter den maßgeblichen<br />

EU-Nationen mit einem<br />

Abstand von knapp zehn<br />

Prozent zum Zweitplatzierten<br />

Dänemark unangefochten der<br />

absolute Spitzenreiter. Erst danach<br />

ging es rapide bergab.<br />

Dass heute die Bevölkerung des<br />

einstigen Armenhauses Irland<br />

rund 20 Prozent mehr Einkommen<br />

in der Tasche hat als die<br />

ehedem reichen Deutschen,<br />

hängt zwar auch mit der deutschen<br />

Wiedervereinigung zusammen.<br />

Aber dieser finanzielle<br />

Kraftakt ist nicht ausschlaggebend<br />

für die nachhaltige Verarmung<br />

der deutschen Nation,<br />

wie eine Studie der Europäischen<br />

Kommission beweist. Ausschlaggebend<br />

für das jeweilige<br />

Wohlstandswachstum in den 15<br />

EU-Nationen war und ist die Intensität<br />

und Radikalität, mit der<br />

die Wirtschafts- und Arbeitswelten<br />

der einzelnen Länder liberalisiert<br />

worden sind.<br />

Sanierungsfall<br />

In dem Maße, wie einzelne EU-<br />

Länder von der staatlichen Bevormundung<br />

befreit wurden,<br />

stieg auch der Wohlstand ihrer<br />

Bürger und damit die Zufriedenheit<br />

mit den Lebensumständen –<br />

so eine aktuelle, internationale<br />

Umfrage von Harris Poll. Rund<br />

50 Prozent der Iren, Schweden,<br />

Amerikaner, Dänen, Niederländer<br />

und Briten sind der Meinung,<br />

dass sich in den vergangenen<br />

fünf Jahren ihre Lebensumstände<br />

deutlich verbessert hätten.<br />

Aber nur 23 Prozent der<br />

Deutschen teilen diese Meinung.<br />

Der EU-Durchschnitt liegt<br />

bei 36 Prozent. Die überwiegende<br />

Mehrheit der deutschen<br />

Bevölkerung bestätigt somit als<br />

erlebte Erfahrung, was die Statistiken<br />

beweisen: Ihr Land ist, was<br />

Wirtschaft und Wohlstand betrifft,<br />

zu einem Sanierungsfall<br />

geworden.<br />

Aber Deutschland hat nicht nur<br />

beim Wohlstandsvergleich erheblich<br />

verloren. Auch beim internationalen<br />

Vergleich der sozialen<br />

Wohlstandsfaktoren hinkt<br />

das Land inzwischen weit hinterher,<br />

was man angesichts der hohen<br />

Sozialausgaben und der ausufernden<br />

Sozialdefizite eigentlich<br />

nicht glauben möchte. Doch<br />

der aktuelle „Human Development<br />

Index“ (HDI), Anfang Juli<br />

zm 93, Nr. <strong>17</strong>, 1. 9. 2003, (2134)

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