Editorial 17 - Zm-online
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92 Finanzen<br />
Wohlstand, gemessen am Pro-<br />
Kopf-Einkommen, eng miteinander<br />
korrelieren. Staaten, die<br />
nicht zuletzt durch rigide Sozialreformen<br />
ihrer Geschäftswelt einen<br />
größeren, unreglementierten<br />
Spielraum zur Verfügung gestellt<br />
haben (in Europa beispielsweise<br />
Dänemark, Irland, Schweden,<br />
die Niederlande, Großbritannien<br />
oder die Schweiz), sind<br />
auch auf der Wohlstandsskala<br />
markant aufgestiegen. Staaten<br />
hingegen, die Wirtschafts- und<br />
Sozialreformen verweigerten<br />
oder nicht die politische Kraft zu<br />
einer umfassenden Deregulation<br />
aufbrachten wie etwa Deutschland,<br />
Frankreich oder Italien,<br />
mussten bei der Wohlstandsentwicklung<br />
deutliche Rückschritte<br />
in Kauf nehmen.<br />
Hohe Staatsquote<br />
Die steigende Staatsverschuldung<br />
ist der Hauptgrund dafür,<br />
dass die deutsche Politik, gleichgültig<br />
welcher Couleur, vor allem<br />
während der vergangenen<br />
zwölf Jahre in ihrer Reformfreudigkeit<br />
immer stärker eingeschränkt<br />
wurde. Die amtierende<br />
Regierung konnte und kann die<br />
Staatsquote von rund 50 Prozent<br />
nicht nennenswert absenken,<br />
weil sie der arbeitenden Bevölkerung<br />
im Schnitt rund 50<br />
Prozent vom verdienten Einkommen<br />
abnehmen muss, um über<br />
die Runden zu kommen. Was<br />
sich nicht direkt aus den Taschen<br />
der Zahlbürger ziehen ließ,<br />
knöpft Berlin den Ländern und<br />
Kommunen ab. Viele von ihnen<br />
stehen am Rande der Zahlungsunfähigkeit.<br />
Für die Bundesbürger<br />
bedeutet dies: Zum einen<br />
nimmt der Staat individuelle<br />
Kaufkraft, um seine Verpflichtungen<br />
zu erfüllen. Zum anderen<br />
verschlechtert er durch die finanzielle<br />
Belastung von Ländern<br />
und Gemeinden die Infrastruktur<br />
und den kommunalen Komfort.<br />
So spiegelt auch das öffentliche<br />
Leben die eingeschlichene<br />
Armut wider.<br />
Die Verschuldung nahezu aller<br />
öffentlichen Hände stieg von 40<br />
Prozent (gemessen am Bruttoinlandsprodukt)<br />
Mitte der 80er<br />
Jahre auf derzeit 62 und demnächst<br />
66 Prozent. Der Grund<br />
liegt im Wesentlichen in der<br />
falsch gemanagten deutschen<br />
Wiedervereinigung. Sie sollte eigentlich<br />
durch den Verkauf der<br />
ehemaligen DDR-Firmen an „kapitalistische“<br />
Investoren bezahlt<br />
werden. Doch statt Geld in die<br />
Staatskasse flossen etwa 200<br />
Milliarden Mark in Form von<br />
Subventionen an die Aufkäufer<br />
(Stichwort: Leuna), damit diese<br />
sich (vielfach nur auf dem<br />
Papier) bereit erklärten, die<br />
maroden DDR-Unternehmen zu<br />
sanieren und weiterzuführen.<br />
Noch heute fließen rund vier<br />
Prozent der westdeutschen Wirtschaftsleistung<br />
in das Projekt<br />
Wiedervereinigung, überwiegend<br />
in Form von Zinsen für den<br />
aufgelaufenen Schuldenberg.<br />
Zum anderen ließen sich die<br />
damals amtierenden Politiker bei<br />
der Festsetzung des Euro-Kurses<br />
über den Tisch ziehen. Der Euro<br />
war zu diesem Zeitpunkt keine<br />
1,95583 Mark wert. Dieser Kurs<br />
dokumentiert vielmehr eine<br />
Überbewertung von rund zehn<br />
Prozent. Der Euro hätte, als er<br />
Anfang 1999 als Girogeld eingeführt<br />
wurde, bestenfalls knapp<br />
unter 1,80 Mark kosten dürfen.<br />
Heute wäre ein Preis von unter<br />
1,70 Mark angemessen. Die<br />
hohe Euro-Bewertung hatte zur<br />
Folge, dass auch der damals<br />
Talfahrt: Deutschland ist Schlusslicht bei Wirtschaftswachstum und Einkommen.<br />
schon enorme Schuldenberg der<br />
Deutschen per definitionem um<br />
rund zehn Prozent zunahm.<br />
Schlimmer noch: Die deutsche<br />
Exportwirtschaft büßte rund<br />
zehn Prozent ihrer Wettbewerbsfähigkeit<br />
ein und leidet<br />
derzeit immer noch an der verdeckten<br />
Mark-Aufwertung.<br />
Diese hat somit einen – bislang<br />
leider undiskutierten – maßgeblichen<br />
Anteil an der aktuellen<br />
Wirtschaftsschwäche der deutschen<br />
Nation.<br />
Dreh- und Angelpunkt des deutschen<br />
Wirtschafts- und Wohlstandsabstiegs<br />
ist aber die hohe<br />
Staatsquote von 50 Prozent an<br />
der gesamten volkswirtschaftlichen<br />
Leistung. Wissenschaftliche<br />
Studien, unter anderem vom<br />
Foto: MEV<br />
renommierten Klier Institut für<br />
Weltwirtschaft, belegen aber,<br />
dass die vorherrschende Staatsquote<br />
und das langfristige Wirtschaftswachstum<br />
eng miteinander<br />
verzahnt sind. Wird die<br />
Staatsquote um ein Prozent gesenkt,<br />
erhöht sich das Wachstum<br />
um etwa 0,1 Prozent. Würde die<br />
Staatsquote, wie geplant, auf 40<br />
Prozent abgesenkt, hätte das erwiesenermaßen<br />
ein zusätzliches<br />
Wirtschaftswachstum von jährlich<br />
rund einem Prozent zur<br />
Folge. Ein enormer Impuls für<br />
eine ausgewachsene Volkswirtschaft<br />
wie die deutsche, die sich<br />
derzeit mit Nullwachstum, sprich<br />
Stagnation, begnügen muss.<br />
Illusorisch<br />
Interessant, aber illusorisch ist<br />
eine Berechnung des Internationalen<br />
Währungsfonds: Würden<br />
in Europa der Kündigungsschutz,<br />
die Arbeitslosenunterstützung<br />
und die Einkommensteuer<br />
auf amerikanisches Niveau<br />
heruntergefahren, würde<br />
die Arbeitslosigkeit in der Euro-<br />
Zone alsbald um durchschnittlich<br />
drei Prozentpunkte sinken<br />
und die Wirtschaftsleistung um<br />
etwa fünf Prozent steigen. Und<br />
würde man auch die Regulierung<br />
der Gütermärkte dem US-<br />
Standard (vor der Bush-Präsidentschaft)<br />
anpassen, ließe sich<br />
dieser Effekt sogar verdoppeln.<br />
Doch diese kecke Kalkulation<br />
wird wohl für immer eine Illusion<br />
bleiben.<br />
■<br />
Der langjährige Autor unserer<br />
Rubrik „Finanzen“ (früher Altersvorsorge)<br />
ist gerne bereit, unter<br />
der Telefon-Nr. 089/64 28 91 50<br />
Fragen zu seinen Berichten zu<br />
beantworten.<br />
Dr. Joachim Kirchmann<br />
Harthauser Straße 25<br />
81545 München<br />
zm 93, Nr. <strong>17</strong>, 1. 9. 2003, (2136)