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Heft 18 /2010 - Deutsche Gesellschaft für Logotherapie und ...

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Sinn <strong>und</strong> Sein<br />

2. Die Tiefe des Geistes<br />

Wie entstehen Werte in konkreten Menschen? Gemeint ist die Entstehung<br />

unter den Bedingungen schöpferischer Freiheit, also abseits von Triebbestimmung,<br />

eindeutigen Zwängen <strong>und</strong> berechenbarer Richtigkeit.<br />

Alle Werte gehen zum Teil aus dem Sein, zum Teil aus freier Schöpfung<br />

hervor. Sein ist in diesem Zusammenhang ein weiter Begriff: Er umfasst alles,<br />

was bewusst oder unbewusst vorgef<strong>und</strong>en wird <strong>und</strong> als unabänderliche<br />

Gegebenheit in die Wertbildung eingeht – also körperliche <strong>und</strong> geistige Anlagen,<br />

äußere <strong>und</strong> innere Zwänge sowie bestehende Werte <strong>und</strong> Normen, soweit<br />

sie nicht in Frage gestellt werden. Das ist der harte, nicht veränderbare<br />

Rahmen, innerhalb dessen sich die Willensfreiheit bewegt. Bei der Ausfüllung<br />

des Rahmens kommt erneut das Sein zum Zuge. Denn der Geist wirft<br />

nicht Münze, sondern organisiert gewissermaßen einen Dialog zwischen Sinn<br />

<strong>und</strong> Sein, <strong>und</strong> zwar zwischen den jeweils „weicheren“ Vorgaben. Auf der<br />

Seite des Seins beteiligen sich daran Annahmen, die nicht sicher, aber möglich<br />

oder wahrscheinlich sind, z.B. Prognosen über die Pünktlichkeit eines<br />

Zuges, die Zeitdauer einer Arbeit oder die Verlässlichkeit eines Partners. Der<br />

Sinn wiederum steuert Werte bei, die nicht zwingend, sondern wie ein „Attraktor“<br />

wirken; sie haben übrigens ebenfalls Seinsgehalt, denn puren Sinn<br />

ohne Sein gibt es nicht. In diesem inneren „Dialog“ werden Alternativen<br />

durchgespielt. Wie ist es, wenn ich der Prognose A <strong>und</strong> dem Wert 2 den Vorzug<br />

gebe? Wie, wenn ich stattdessen anders kombiniere? Wie ist es, wenn ich<br />

zunächst eine der Alternativen versuchsweise angehe <strong>und</strong> damit scheitere –<br />

kann ich dann auf den sprichwörtlichen Plan B ausweichen? Auf der einen<br />

Seite wirkt der „Lebensdruck“ mit seinen Nöten <strong>und</strong> Bedürfnissen, auf der<br />

anderen Seite der „Sinndruck“ mit seinem Aufruf zu sinnvoller Lebensgestaltung.<br />

Dabei besteht kein wesentlicher Unterschied zwischen einer Entscheidung<br />

über Handlungsalternativen <strong>und</strong> einer solchen über Werte. Beides<br />

geht meist Hand in Hand, <strong>und</strong> eine Handlungsentscheidung gibt auch<br />

den Werten ein neues Gesicht.<br />

Wo sich die Lösung nicht durch Berechnungen finden lässt, können Ungewissheiten<br />

bis hin zu einer Pattsituation die Folge sein: Wir kommen aus dem<br />

Schwanken nicht heraus. Wollen wir nicht wie Burridans Esel zwischen zwei<br />

gleich großen Heuhaufen verhungern <strong>und</strong> wollen wir weder würfeln noch<br />

die Lösung anderen zuschieben, dann müssen wir irgendwie durch. Helfen<br />

kann eine Wertermittlung „von oben“ <strong>und</strong> „von unten“. Von oben: Wir bemerken,<br />

dass die Frage über den Einzelfall hinausreicht <strong>und</strong> die gr<strong>und</strong>sätzliche<br />

Lebenseinstellung betrifft. Daher treiben wir den Wertkonflikt von der<br />

alltäglich-konkreten Ebene hinauf zu höheren ethischen oder religiösen<br />

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