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Heft 18 /2010 - Deutsche Gesellschaft für Logotherapie und ...

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Mutter: Nein, das sollen sie nicht. Aber es ist halt so schwer, ihn los zu lassen.<br />

Seelsorger: Da haben Sie auf alle Fälle recht; das ist oft unendlich schwer, vor<br />

allem, wenn es das eigene Kind <strong>und</strong> wenn es der einzige Sohn ist. Aber dann<br />

erinnern Sie sich bitte daran, dass das, was Sie an ihm so geschätzt haben,<br />

deswegen nicht aufhört, weil Sie ihn loslassen. Was uns wehtut, ist, dass nichts<br />

Neues mehr dazukommen kann. Aber das, was das Leben Ihnen geschenkt<br />

hat, das bleibt Ihnen ja erhalten! Sehen Sie, ich glaube, Sie haben da auch<br />

sehr viel geschenkt bekommen: Bis zum 39. Lebensjahr war er bei Ihnen; da<br />

sind andere Söhne schon längst ausgezogen – Sie aber konnten ihn noch zehn<br />

oder fünfzehn Jahre länger als andere in Ihrer Nähe haben. Das ist so ein<br />

großes Geschenk, das Ihnen das Leben gemacht hat <strong>und</strong> das Ihnen auch jetzt<br />

niemand mehr nehmen kann.<br />

Mutter: Ja, das stimmt. Wissen Sie, mein Sohn war Fernfahrer, bis nach Schweden<br />

<strong>und</strong> Spanien ist der immer wieder gefahren; <strong>und</strong> unterwegs hat er mich<br />

oft angerufen <strong>und</strong> dann haben wir ganz lange über das Handy miteinander<br />

telefoniert. Da hat er mir erzählt, was er gerade auf der Straße erlebt. Manchmal<br />

hat er auch von Unfällen erzählt, an denen er gerade vorbei gekommen<br />

ist, <strong>und</strong> da habe ich mir immer gedacht: „Gott sei Dank, mein Sohn lebt noch!“<br />

Seelsorger: Ja, das ist auch so ein Geschenk des Lebens.<br />

Ich fühle den Augenblick nahen <strong>und</strong> denke mir, die Mutter könnte jetzt bereit sein,<br />

die Entscheidung über mögliche lebensverlängernde Maßnahmen verantwortlich zu<br />

treffen. So komme ich auf den Anlass meines Besuches zu sprechen.<br />

Seelsorger: Frau NN, der Krankenhausseelsorger, der mich angerufen hat, hat<br />

mir erzählt, dass Sie gerne hätten, dass Ihr Sohn die Krankensalbung empfängt.<br />

Mutter: Ja, das möchte ich schon.<br />

Seelsorger: Und ich überlege, ob es Ihnen selber nicht vielleicht auch eine Hilfe<br />

wäre, wenn Sie zusammen mit Ihrem Sohn die Krankensalbung empfangen<br />

würden: Wir haben jetzt so viel von Ihrer Verbindung zueinander geredet<br />

<strong>und</strong> davon, wie viel Kraft es kostet, auch wieder loszulassen, wenn es<br />

dazu Zeit sein wird. Ich kann mir vorstellen, dass es Ihnen bestimmt auch<br />

gut tut, durch die Krankensalbung zu spüren, dass Gott da ist, <strong>und</strong> zwar <strong>für</strong><br />

sie beide; dass er sie beide nicht hängen lässt. Und dass er Ihnen die Kraft<br />

geben will, die Sie jetzt brauchen werden, je nachdem, entweder zum treuen<br />

Durchhalten oder zum liebevollen Loslassen <strong>und</strong> Freigeben <strong>für</strong> das Leben in<br />

der neuen, geistigen Welt.<br />

52<br />

Florian Wöss

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