Heft 18 /2010 - Deutsche Gesellschaft für Logotherapie und ...
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Sinn <strong>und</strong> Sein<br />
transzendentale Gedanke weder <strong>für</strong> eine genaue Grenze zwischen Mensch<br />
<strong>und</strong> Tier noch zwischen Erwachsenem <strong>und</strong> Kleinkind etwas her. Bei philosophischen<br />
Überlegungen sollten wir deshalb die Frage des „Geltungsbereiches“<br />
außer Betracht lassen.<br />
Die dritte Schwierigkeit liegt in unserem Gefühl, mit „ich will“ oder „ich<br />
habe im Sinn“ etwas Einfaches gesagt zu haben. Das ist ein Irrtum, den wir<br />
zunächst überwinden müssen. Der Sinn ist tief <strong>und</strong> reich an Facetten. Das<br />
wird sich sogleich zeigen.<br />
1. Streben nach Erfüllung<br />
Sinn erwächst aus dem Sein, genauer: aus dem Zyklus des Seins. Die Welt ist<br />
eine Folge von Leben <strong>und</strong> Tod, Tag <strong>und</strong> Nacht, Sommer <strong>und</strong> Winter. Ununterbrochen<br />
dreht sich das Rad. Das gilt auch <strong>für</strong> Bedürfnis <strong>und</strong> Erfüllung<br />
<strong>und</strong> das Streben, das zwischen ihnen steht. Der Mensch strebt, solang er lebt.<br />
Immer braucht er etwas. Am Anfang von Streben <strong>und</strong> Sinn stehen Mangel,<br />
Not <strong>und</strong> Hunger. Im Kreislauf folgen dem Hunger Essen <strong>und</strong> Sattsein, dann<br />
erneuter Hunger. Natürlich kennen wir auch Zeiten der Ruhe <strong>und</strong> des Genießens.<br />
Aber im Gr<strong>und</strong>e bewegt sich das Leben ständig zwischen der Spannung<br />
des Bedürfens <strong>und</strong> der vorübergehenden Spannungslosigkeit der Erfüllung.<br />
Sinn ist paradox: Du willst irgendwo hin, <strong>und</strong> wenn du dort bist,<br />
bleibst du nicht <strong>und</strong> willst weiter – wie der „Reise-Esel“ in einem der Bilderbücher<br />
von Janosch: Am Ziel angekommen, reist er sofort weiter. Wir stehen<br />
unter einem „Lebensdruck“: Das Leben zwingt uns voran; zu langer Stillstand<br />
wäre Verfall <strong>und</strong> Rückschritt.<br />
So wird aus dem Geschehen Ethos; aus dem Sein erhebt sich der Sinn. Sattsein<br />
ist nicht bloß Zustand, sondern Ziel. Es ist nicht nur, es soll sein. Durch<br />
<strong>und</strong> über das Sein ertönt der Ruf des Sinnes. Streben geschieht nicht in blinder<br />
Umtriebigkeit des Subjekts, sondern folgt einem Ruf – so wie die im<br />
Wasserfall stürzenden Tropfen von der Tiefe der Erde „gerufen“ werden.<br />
Dieser „Ruf“ zielt freilich nur auf den Ausgleich von Spannungen, wie sie –<br />
die Physiker sprechen von potentieller Energie – durch die Höhe des Wassers<br />
vor dem Fall gegeben sind. Auch die Stillung des Hungers gleicht Spannungen<br />
aus. Der im menschlichen Sinnstreben beschlossene „Ruf“ geht indessen<br />
weiter als in solchen einfachen Beispielen. Er ruft nicht nur zur Lösung<br />
der Spannung, zur Behebung der Not, zur Stillung der Bedürfnisse; er<br />
ruft nach mehr. Die Vielschichtigkeit dieses „Mehr“ wird sich in den weiteren<br />
Überlegungen erschließen, blicken wir zunächst auf das Offenk<strong>und</strong>ige:<br />
Nicht nur soll der Hunger gestillt, sondern das Essen genossen werden; nicht<br />
nur soll die Armut überw<strong>und</strong>en, sondern Reichtum erworben werden. Zwar<br />
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