Heft 18 /2010 - Deutsche Gesellschaft für Logotherapie und ...
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Die transzendentale Betrachtung von Sinn <strong>und</strong> Wert bleibt hier jedoch nicht<br />
stehen. Der Sinn ist egoistisch <strong>und</strong> zugleich – dialektisch, paradox – altruistisch.<br />
Er ist dem Sein zugewendet; das Sein ist <strong>für</strong> ihn ein Wert, <strong>und</strong> zwar<br />
auch ein Gefühlswert. Gebrauchen wir das richtige Wort da<strong>für</strong>: Der Sinn liebt<br />
das Sein. Er liebt es in der Welt, <strong>und</strong> vor allem liebt er es in anderen Menschen<br />
– weil er selbst geliebt werden will, aber nicht nur deshalb: Liebe tut<br />
ihm gut. In der Liebe spürt er die ganzheitliche Verbindung mit dem Sein.<br />
Der Mensch ist gut <strong>und</strong> altruistisch nicht nur um der Anderen <strong>und</strong> um der<br />
Gegenseitigkeit, sondern auch um seiner selbst willen. Folglich verzerrt das<br />
Tun des Bösen auch sein eigenes Wertgefüge: Ein Stück seiner Seinsverb<strong>und</strong>enheit<br />
<strong>und</strong> des inneren Friedens ist dahin. Nicht nur die Folgen von Handlungen,<br />
auch Gesinnungen sind ethisch von Bedeutung. Wir fühlen uns nicht<br />
wohl, wenn wir an einem Bedürftigen vorbei gegangen sind, obwohl wir ohne<br />
weiteres hätten helfen können. Wer mutwillig ein kleines wehrloses Tier auf<br />
der Straße zertritt, schädigt sich selbst.<br />
Ethik nur als Versicherung auf Gegenseitigkeit zeigt offenk<strong>und</strong>ige Schwächen,<br />
wenn der Verlauf der gegenseitigen Beziehungen unübersichtlich wird.<br />
Beispiel ist die laxe Steuermoral bei sonst anständigen Menschen: Die Folgen<br />
unserer Schwindelei sehen wir in der Weite der staatlichen Finanzwelt verschwinden<br />
<strong>und</strong> nehmen sie daher nicht sonderlich ernst. Mit der Liebe zum<br />
Sein kommt – solche Schwächen mindernd – der Sinn <strong>für</strong> Verantwortung dazu:<br />
der Mensch als „Hirt des Seins“ (Heidegger). Aus der Gegenseitigkeitsethik<br />
wird Verantwortungsethik. Verantwortung hat keine gr<strong>und</strong>sätzlichen Grenzen:<br />
Verantwortung <strong>für</strong> andere Menschen, <strong>für</strong> eine Gemeinschaft, <strong>für</strong> den Staat,<br />
<strong>für</strong> das Gemeinwohl, <strong>für</strong> die Umwelt. Sie kann sich auch auf kommende Generationen<br />
erstrecken <strong>und</strong> selbst darauf, dass diese überhaupt ins Leben treten,<br />
indem wir Kinder zeugen. Sie hat in diesem Zusammenhang einen durchaus<br />
natürlichen Hintergr<strong>und</strong> im Fortpflanzungs- <strong>und</strong> Bruttrieb. Wir wollen,<br />
dass es unseren Kindern <strong>und</strong> Kindeskindern einmal gut geht; darum sorgen<br />
wir uns um das Klima des Planeten. Eine Ahnung vom Eigenwert der Welt<br />
kommt dabei auf. Aber es ist nur eine Ahnung, philosophisch nicht klar begründbar;<br />
der egozentrische Ausgangspunkt wird im Prinzip nicht verlassen.<br />
Transzendentale Verantwortungsethik hebt die Spannung zwischen Egoismus<br />
<strong>und</strong> Altruismus in sich auf. Damit führt sie hinauf zu hohen Prinzipien.<br />
Ihr geht es aber ähnlich – die Analogie zum Persönlichen setzt sich fort –<br />
wie dem geschilderten Sinnbild des guten Lebens. Auch ihr tritt ein Gegenbild<br />
gegenüber in Gestalt des reinen, nur durch den Gedanken der Gegenseitigkeit<br />
teilweise gezügelten Egoismus. Auf transzendentaler Gr<strong>und</strong>lage lässt<br />
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Werner Reiland