Heft 18 /2010 - Deutsche Gesellschaft für Logotherapie und ...
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Rezensionen<br />
Philip Roth, Jedermann/Everybody, Carl Hanser Verlag, München 2006, 172 S.,<br />
17,90 Euro<br />
Das Buch ist – das liegt in der Natur der Dinge – aus einer sehr männlichen<br />
Perspektive geschrieben worden. Es beleuchtet die fast lebenslängliche Auseinandersetzung<br />
eines Mannes mit seinem körperlichen Zerfall.<br />
Mit einem gewaltigen Paukenschlag eröffnet Philip Roth die Ouvertüre<br />
seines Romans, indem er auf die biographisch angemessene, chronologische<br />
Reihenfolge verzichtet <strong>und</strong> mit der Beerdigung seiner Titelfigur Jedermann<br />
beginnt.<br />
Von der ersten Seite an, lässt er den Leser nicht im Unklaren darüber, dass<br />
Jedermann den Kampf gegen Alter <strong>und</strong> Verfall nicht gewonnen hat, <strong>und</strong> wie<br />
<strong>für</strong> Jedermann, so wird es <strong>für</strong> jeden von uns enden, egal wie sehr wir zeitlebens<br />
dagegen ankämpfen.<br />
Das hat schon eine gewisse symbolische Wucht, aber auch literarische Raffinesse,<br />
den Endpunkt menschlichen Lebens als Anfangskapitel zu wählen.<br />
Da kann man schon ins Grübeln kommen. Ob der Tod hier nicht als Neubeginn<br />
statt als Schlusspunkt gemeint sein könnte? Ob sich hier nicht der Kreis<br />
von Anfang <strong>und</strong> Ende schließt zum ewigen Kreislauf? Um mit Bert Brecht zu<br />
sprechen: Neu beginnen, kannst du mit dem letzen Atemzug. Nun, wenn man<br />
weiter liest, so merkt man, dass dem Autor spirituelle oder philosophische<br />
Winkelzüge fern liegen.<br />
Vor der Dominanz körperlichen Zerfalls, der den stets drohenden Tod als<br />
Begleiter im Schlepptau hat, weichen die biographischen Daten Jedermanns<br />
fast ins Beiläufige zurück. Sie beziehen sich auf ein durchschnittliches, typisch<br />
amerikanisches Mittelstandsleben. Aus kleinen, aber behüteten Verhältnissen<br />
stammend, arbeitet sich Jedermann zum erfolgreichen Werbemanager<br />
empor, vergisst seine jüdische Religion <strong>und</strong> ersetzt sie durch pragmatisches<br />
Verhalten. Er heiratet dreimal, hat zwei Söhne, die ihn verachten <strong>und</strong> seine<br />
Tochter Nancy, die er vergöttert. Dazwischen liegen Jedermanns Sex-Affären,<br />
wie sie eben in der schillernden Branche der Werbung üblich sind.<br />
Der Held des Buches erweist sich hier als verführbar <strong>und</strong> setzt lieber seine<br />
intakte zweite Ehe aufs Spiel, als auf seine männlichen Eskapaden zu verzichten.<br />
Die vom Autor mit routinierter Anschaulichkeit beschriebenen Sexszenen<br />
entspringen letztendlich dem gleichen menschlichen Makel – um mit<br />
einem anderen Buchtitel des berühmten Autors zu sprechen – wie Jedermanns<br />
zunehmende Herzerkrankungen, nämlich der Schwäche des Fleisches.<br />
Dennoch ist Jedermann kein unangenehmer, eitler oder aufgeblasener Charakter.<br />
Er erkennt in sich das Normale <strong>und</strong> Durchschnittliche, liebt eher die<br />
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