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Heft 18 /2010 - Deutsche Gesellschaft für Logotherapie und ...

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Sinn <strong>und</strong> Sein<br />

entweder hat er nicht wirklich entschieden, weil ohnehin alles klar war, oder<br />

er hat nicht bewusst entschieden, jedenfalls nicht ganz bewusst. Im Vorfeld<br />

mögen freie Entscheidungen im Licht des Bewusstseins liegen, nicht mehr<br />

aber in der dunklen Tiefe des Selbst, wo der eigentliche Würfel fällt. „Frei“<br />

<strong>und</strong> „bewusst“ kommen nicht zusammen. Auf die Letztbegründung von Sinnentscheidungen<br />

müssen wir verzichten.<br />

Was folgt daraus <strong>für</strong> das Wesen des Menschen? Jemand klopft sich auf die<br />

Brust: Das habe ich entschieden! Wer ist dieses Ich? Die Frage scheint einfach:<br />

Ich bin ich; wo ist das Problem? Doch schon die Sprache macht nachdenklich:<br />

„Ich frage mich, was ich jetzt tun soll“. Wer fragt hier, wer antwortet,<br />

wer tut? Die Sache ist offenbar verwickelter. Verwirrend sind die Bezeichnungen,<br />

die wir in nicht ganz klarer Abgrenzung gebrauchen: der Mensch,<br />

die Person, das Ich, das Selbst. Hier sollten wir <strong>für</strong> unsere Überlegungen<br />

Ordnung schaffen. Person wäre dann der Mensch, wie er beim Meldeamt registriert<br />

ist: Name, Vorname, Geburtstag <strong>und</strong> Geburtsort – das unter allen<br />

Menschen durch diese wesentlichen Angaben identifizierte Individuum. Ihm<br />

liegt die körperliche Einheit des Lebewesens Mensch zugr<strong>und</strong>e, wie sie mit<br />

Haut <strong>und</strong> Haar <strong>und</strong> einer gleich bleibenden Gen-Ausstattung von der Wiege<br />

bis zur Bahre unterwegs ist. Auch eine geistige Einheit gehört zur ges<strong>und</strong>en<br />

Person; man nennt sie das biographische Ich <strong>und</strong> meint den Zusammenhang<br />

von Vorstellungen <strong>und</strong> Erinnerungen, der das jetzige Bewusstsein mit seiner<br />

Vergangenheit verbindet. Eine über (schwache) Einheit hinausgehende Ganzheit<br />

ist die Person allenfalls in körperlicher Hinsicht, nicht ohne weiteres<br />

geistig. Die Biographie bringt die Lebensbilder bloß in einen losen Zusammenhang,<br />

ähnlich den Fotos in einem Familienalbum.<br />

Soll die Person zum Ich werden, muss ihre geistige Einheit sich vertiefen.<br />

Nicht immer achten wir auf diesen Unterschied. Wenn kleine Kinder sprechen<br />

lernen, liegen ihnen solche Feinheiten fern. Sie nennen sich erst in der<br />

dritten Person „Martin“, später in der ersten Person „ich“ <strong>und</strong> haben beide<br />

Male nichts als die Person Martin im Sinn. Auch im Alltag spielt es oft keine<br />

Rolle, ob der Mensch nur Person oder noch etwas anderes ist. Poche ich allerdings<br />

darauf: “Ich verantworte diese Entscheidung“, dann schwebt mir mehr<br />

vor als meine beim Amt registrierte Person mit einem ungefähr erinnerten<br />

Lebenslauf – nämlich ein Ganzes, das wirklich den Namen „Ich“ verdienen<br />

würde. Eine vorschwebende Idee also; daher muss zunächst im Konjunktiv<br />

geredet werden. Das Ich wäre ein geistiger Organismus, der alle meine wesentlichen<br />

Eigenschaften, inneren Vorgänge <strong>und</strong> eben auch Verantwortungen<br />

zu geschlossener <strong>und</strong> dauernder Einheit verschmelzen würde: „Ich“ als<br />

ein <strong>und</strong> derselbe, gestern, heute <strong>und</strong> morgen. Die Scholastiker würden for-<br />

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