Heft 18 /2010 - Deutsche Gesellschaft für Logotherapie und ...
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Sinn <strong>und</strong> Sein<br />
eine solche muss sie der Religion überlassen. Natürlich kommen in der <strong>Gesellschaft</strong><br />
Werte zustande, aber sie sind das Amalgam der zugeströmten persönlichen<br />
Werte. Das gilt selbst dann, wenn die gesellschaftlichen Normen<br />
ihre persönlichen Ursprünge vergessen <strong>und</strong> scheinbar eigenständig fortbestehen<br />
– in Umbrüchen <strong>und</strong> Revolutionen wird wieder der wahre Untergr<strong>und</strong><br />
sichtbar. Wie im vorigen Abschnitt geschildert wurde, gehen Sinn <strong>und</strong> Werte<br />
aus der dunklen Tiefe des Einzelnen hervor. Im Ausgang ist die philosophische<br />
Ethik dementsprechend egozentrisch.<br />
Der vom Menschen ausgehende Sinn zielt aber – jedenfalls überwiegend –<br />
auf das Sein außerhalb seiner selbst. Dieses sucht er <strong>und</strong> in ihm wiederum<br />
Sinn. Er will die Welt verstehen – auch eine Art Sinndruck, der beispielsweise<br />
zu früheren Zeiten, als geeignete Erklärungen <strong>für</strong> Naturvorgänge fehlten,<br />
die Magie zum Sinnersatz erhoben hat. Außer nach Verstehen strebt man nach<br />
Erfüllung. Diese suchen auch andere Menschen, <strong>und</strong> so geht man teils gemeinsam,<br />
teils in Konflikt mit ihnen ans Werk. In diesem Geschehen entstehen<br />
die gesellschaftlichen Werte. Ihr egozentrischer Hintergr<strong>und</strong> hat eine weitgehende<br />
Analogie zu den persönlichen Werten zur Folge. Die obigen Erläuterungen<br />
lassen sich auf sie übertragen.<br />
Gemeinsam geht man auf Mehrung aus, Mehrung von Macht <strong>und</strong> Wohlstand<br />
etwa. Für gesellschaftliche Konflikte gilt ein ähnliches Harmoniegebot<br />
wie <strong>für</strong> persönliche, allerdings mit besonderer Betonung der Gegenseitigkeit.<br />
Archaische Vorstellungen, dass einige Menschen „gleicher“ sind als die anderen,<br />
wurden überw<strong>und</strong>en; man entdeckt bei allen Mitgliedern der <strong>Gesellschaft</strong><br />
einen weitgehend ähnlichen Sinn- <strong>und</strong> Werthintergr<strong>und</strong>: Die Menschen<br />
sind im Wesentlichen gleich. Daraus entwickeln sich die Ideale der Freiheit<br />
<strong>und</strong> Gerechtigkeit sowie die bekannte „Goldene Regel“. Diese kennt auch eine<br />
positive Variante des gegenseitigen Gebens, so dass sie gleichzeitig der Harmonie<br />
<strong>und</strong> der Mehrung der allgemeinen Wohlfahrt dient.<br />
Man sollte die Reichweite derart natürlich begründeter Ethik nicht unterschätzen.<br />
Keineswegs lässt sich – wie manche Theologen meinen – das Verbot<br />
des Mordes ohne Gott nicht begründen. Die Gebote vom Berg Sinai beruhen<br />
in ihrem „menschlichen Teil“ (ab dem 4. Gebot) alle auf Gegenseitigkeit:<br />
Ich möchte nicht ermordet werden <strong>und</strong> käme in Gefahr, wenn der Mord nicht<br />
allgemein geächtet wäre. Trotzdem bliebe eine Ethik allein auf dieser Gr<strong>und</strong>lage<br />
dürftig. Der Traum der Utilitaristen vom „größtmöglichen Glück <strong>für</strong><br />
die größtmögliche Menge“ ist von gehöriger Plattheit, zumal man Glück als<br />
solches ohnehin nicht anstreben soll. Der Gegenseitigkeitskalkül ist nicht bloß<br />
egozentrisch, sondern letztlich egoistisch. Er bringt die jeweiligen Egoismen<br />
so zum Ausgleich, dass sie sich nicht gegenseitig stören <strong>und</strong> infolgedessen<br />
besser ausleben können.<br />
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