05.11.2012 Aufrufe

Heft 18 /2010 - Deutsche Gesellschaft für Logotherapie und ...

Heft 18 /2010 - Deutsche Gesellschaft für Logotherapie und ...

Heft 18 /2010 - Deutsche Gesellschaft für Logotherapie und ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Sinn <strong>und</strong> Sein<br />

eine solche muss sie der Religion überlassen. Natürlich kommen in der <strong>Gesellschaft</strong><br />

Werte zustande, aber sie sind das Amalgam der zugeströmten persönlichen<br />

Werte. Das gilt selbst dann, wenn die gesellschaftlichen Normen<br />

ihre persönlichen Ursprünge vergessen <strong>und</strong> scheinbar eigenständig fortbestehen<br />

– in Umbrüchen <strong>und</strong> Revolutionen wird wieder der wahre Untergr<strong>und</strong><br />

sichtbar. Wie im vorigen Abschnitt geschildert wurde, gehen Sinn <strong>und</strong> Werte<br />

aus der dunklen Tiefe des Einzelnen hervor. Im Ausgang ist die philosophische<br />

Ethik dementsprechend egozentrisch.<br />

Der vom Menschen ausgehende Sinn zielt aber – jedenfalls überwiegend –<br />

auf das Sein außerhalb seiner selbst. Dieses sucht er <strong>und</strong> in ihm wiederum<br />

Sinn. Er will die Welt verstehen – auch eine Art Sinndruck, der beispielsweise<br />

zu früheren Zeiten, als geeignete Erklärungen <strong>für</strong> Naturvorgänge fehlten,<br />

die Magie zum Sinnersatz erhoben hat. Außer nach Verstehen strebt man nach<br />

Erfüllung. Diese suchen auch andere Menschen, <strong>und</strong> so geht man teils gemeinsam,<br />

teils in Konflikt mit ihnen ans Werk. In diesem Geschehen entstehen<br />

die gesellschaftlichen Werte. Ihr egozentrischer Hintergr<strong>und</strong> hat eine weitgehende<br />

Analogie zu den persönlichen Werten zur Folge. Die obigen Erläuterungen<br />

lassen sich auf sie übertragen.<br />

Gemeinsam geht man auf Mehrung aus, Mehrung von Macht <strong>und</strong> Wohlstand<br />

etwa. Für gesellschaftliche Konflikte gilt ein ähnliches Harmoniegebot<br />

wie <strong>für</strong> persönliche, allerdings mit besonderer Betonung der Gegenseitigkeit.<br />

Archaische Vorstellungen, dass einige Menschen „gleicher“ sind als die anderen,<br />

wurden überw<strong>und</strong>en; man entdeckt bei allen Mitgliedern der <strong>Gesellschaft</strong><br />

einen weitgehend ähnlichen Sinn- <strong>und</strong> Werthintergr<strong>und</strong>: Die Menschen<br />

sind im Wesentlichen gleich. Daraus entwickeln sich die Ideale der Freiheit<br />

<strong>und</strong> Gerechtigkeit sowie die bekannte „Goldene Regel“. Diese kennt auch eine<br />

positive Variante des gegenseitigen Gebens, so dass sie gleichzeitig der Harmonie<br />

<strong>und</strong> der Mehrung der allgemeinen Wohlfahrt dient.<br />

Man sollte die Reichweite derart natürlich begründeter Ethik nicht unterschätzen.<br />

Keineswegs lässt sich – wie manche Theologen meinen – das Verbot<br />

des Mordes ohne Gott nicht begründen. Die Gebote vom Berg Sinai beruhen<br />

in ihrem „menschlichen Teil“ (ab dem 4. Gebot) alle auf Gegenseitigkeit:<br />

Ich möchte nicht ermordet werden <strong>und</strong> käme in Gefahr, wenn der Mord nicht<br />

allgemein geächtet wäre. Trotzdem bliebe eine Ethik allein auf dieser Gr<strong>und</strong>lage<br />

dürftig. Der Traum der Utilitaristen vom „größtmöglichen Glück <strong>für</strong><br />

die größtmögliche Menge“ ist von gehöriger Plattheit, zumal man Glück als<br />

solches ohnehin nicht anstreben soll. Der Gegenseitigkeitskalkül ist nicht bloß<br />

egozentrisch, sondern letztlich egoistisch. Er bringt die jeweiligen Egoismen<br />

so zum Ausgleich, dass sie sich nicht gegenseitig stören <strong>und</strong> infolgedessen<br />

besser ausleben können.<br />

31

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!