Heft 18 /2010 - Deutsche Gesellschaft für Logotherapie und ...
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Logos-Geschichten<br />
Norbert Kremser<br />
Einer trage des anderen Last?<br />
Sein Gang war schwer, ja nahezu schleppend. Vornübergebeugt fiel sein Blick<br />
eher auf den Boden vor ihm, als dass er die Vorübergehenden traf. Nicht<br />
irgendein körperliches Leiden zwang ihn in diese Haltung <strong>und</strong> zu diesem<br />
beschwerlichen Gang, sondern die Last, die er trug. Nein, nicht einfach nur<br />
eine Last, sondern Lasten waren es, die er geschultert hatte. Sprach ihn gelegentlich<br />
jemand vorsichtig darauf an, so dauerte es nicht lange <strong>und</strong> er erzählte<br />
von den zahlreichen Beschwernissen, die er zu tragen hatte <strong>und</strong> die<br />
ihn schwer nieder drückten. Und erzählen konnte er, immer wieder.<br />
Ein bedauernswerter Mensch – so würde man meinen. Und genau das war<br />
der Fehler! Sobald er nämlich auf jemanden traf, der ihn so sehr bedauerte,<br />
dass er ihm schließlich etwas von der Bürde abnahm, ging folgendes vonstatten:<br />
Kaum um die nächste Ecke gebogen, hob er den Blick <strong>und</strong> hielt nach<br />
neuen Lasten Ausschau. Und er brauchte meist nicht lange zu suchen – schon<br />
hatte er eine neue entdeckt, schulterte diese <strong>und</strong> setzte seinen so typischen<br />
Gang fort.<br />
So hätte es ewig weiter gehen können, wenn sich ihm nicht eines Tages<br />
jemand in den Weg gestellt hätte. Zunächst glaubte er, wieder ein williges<br />
Opfer gef<strong>und</strong>en zu haben. Und er begann mit seinem Bericht über all das<br />
Leiden <strong>und</strong> das Schwere in seinem Leben. Der andere hörte ihm eine Weile<br />
zu, schüttelte den Kopf <strong>und</strong> forderte ihn dann auf, etwas von dem Gewicht<br />
abzulegen <strong>und</strong> dadurch seinen Weg leichter fortzusetzen. Das stieß bei ihm<br />
jedoch auf heftigen Widerstand. Zunächst beklagte er sich nur erneut über<br />
die vielen Dinge, dann aber beschimpfte er sogar den anderen, unterstellte<br />
ihm Ahnungslosigkeit, das Leben zu leicht zu nehmen, nicht genügend zu<br />
leisten. Dieses Mal hatte er damit allerdings keinen Erfolg, denn sein Gegenüber<br />
gab nicht nach <strong>und</strong> ging schließlich seines Weges.<br />
Er jedoch setzte seinen Weg wieder fort; doch nicht mehr so wie bisher.<br />
Irgendetwas hatte sich verändert. Zweifel nagten an ihm, ob seine Art, durchs<br />
Leben zu gehen, wirklich so richtig war, ob sein Blick nicht vielleicht durch<br />
all die vielen Jahre der Mühsal inzwischen getrübt war. Zunächst konnte er<br />
es sich gar nicht anders vorstellen, dann aber kamen ihm erste zaghafte Gedanken,<br />
dass nicht alles <strong>und</strong> jedes in seinem Leben nur beschwerlich <strong>und</strong><br />
drückend gewesen war. In seiner Erinnerung tauchten Blitzlichter von Lachen<br />
<strong>und</strong> Freude auf. Ja, es hatte auch schöne Momente in seinem Leben<br />
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