05.11.2012 Aufrufe

Heft 18 /2010 - Deutsche Gesellschaft für Logotherapie und ...

Heft 18 /2010 - Deutsche Gesellschaft für Logotherapie und ...

Heft 18 /2010 - Deutsche Gesellschaft für Logotherapie und ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Logos-Geschichten<br />

Norbert Kremser<br />

Einer trage des anderen Last?<br />

Sein Gang war schwer, ja nahezu schleppend. Vornübergebeugt fiel sein Blick<br />

eher auf den Boden vor ihm, als dass er die Vorübergehenden traf. Nicht<br />

irgendein körperliches Leiden zwang ihn in diese Haltung <strong>und</strong> zu diesem<br />

beschwerlichen Gang, sondern die Last, die er trug. Nein, nicht einfach nur<br />

eine Last, sondern Lasten waren es, die er geschultert hatte. Sprach ihn gelegentlich<br />

jemand vorsichtig darauf an, so dauerte es nicht lange <strong>und</strong> er erzählte<br />

von den zahlreichen Beschwernissen, die er zu tragen hatte <strong>und</strong> die<br />

ihn schwer nieder drückten. Und erzählen konnte er, immer wieder.<br />

Ein bedauernswerter Mensch – so würde man meinen. Und genau das war<br />

der Fehler! Sobald er nämlich auf jemanden traf, der ihn so sehr bedauerte,<br />

dass er ihm schließlich etwas von der Bürde abnahm, ging folgendes vonstatten:<br />

Kaum um die nächste Ecke gebogen, hob er den Blick <strong>und</strong> hielt nach<br />

neuen Lasten Ausschau. Und er brauchte meist nicht lange zu suchen – schon<br />

hatte er eine neue entdeckt, schulterte diese <strong>und</strong> setzte seinen so typischen<br />

Gang fort.<br />

So hätte es ewig weiter gehen können, wenn sich ihm nicht eines Tages<br />

jemand in den Weg gestellt hätte. Zunächst glaubte er, wieder ein williges<br />

Opfer gef<strong>und</strong>en zu haben. Und er begann mit seinem Bericht über all das<br />

Leiden <strong>und</strong> das Schwere in seinem Leben. Der andere hörte ihm eine Weile<br />

zu, schüttelte den Kopf <strong>und</strong> forderte ihn dann auf, etwas von dem Gewicht<br />

abzulegen <strong>und</strong> dadurch seinen Weg leichter fortzusetzen. Das stieß bei ihm<br />

jedoch auf heftigen Widerstand. Zunächst beklagte er sich nur erneut über<br />

die vielen Dinge, dann aber beschimpfte er sogar den anderen, unterstellte<br />

ihm Ahnungslosigkeit, das Leben zu leicht zu nehmen, nicht genügend zu<br />

leisten. Dieses Mal hatte er damit allerdings keinen Erfolg, denn sein Gegenüber<br />

gab nicht nach <strong>und</strong> ging schließlich seines Weges.<br />

Er jedoch setzte seinen Weg wieder fort; doch nicht mehr so wie bisher.<br />

Irgendetwas hatte sich verändert. Zweifel nagten an ihm, ob seine Art, durchs<br />

Leben zu gehen, wirklich so richtig war, ob sein Blick nicht vielleicht durch<br />

all die vielen Jahre der Mühsal inzwischen getrübt war. Zunächst konnte er<br />

es sich gar nicht anders vorstellen, dann aber kamen ihm erste zaghafte Gedanken,<br />

dass nicht alles <strong>und</strong> jedes in seinem Leben nur beschwerlich <strong>und</strong><br />

drückend gewesen war. In seiner Erinnerung tauchten Blitzlichter von Lachen<br />

<strong>und</strong> Freude auf. Ja, es hatte auch schöne Momente in seinem Leben<br />

55

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!