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Heft 18 /2010 - Deutsche Gesellschaft für Logotherapie und ...

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Rezensionen<br />

Peter Stamm: Sieben Jahre, S. Fischer Verlag, Frankfurt a. Main, 2009, 297 Seiten,<br />

<strong>18</strong>,95 Euro<br />

Dieses Buch ist ein Eheroman. Wer Romane zum Thema Beziehungen gern<br />

liest, bekommt hier einiges zu denken, aber nicht unbedingt Antworten.<br />

Alex, der Ich-Erzähler des Buches ist ein erfolgreicher Architekt. Während<br />

des Studiums lernt er die bezaubernde Sonja kennen, die ebenfalls Architektur<br />

studiert. Sie ist ehrgeizig, ambitioniert, kommt aus guten Haus <strong>und</strong> ist<br />

von unübersehbarer Attraktivität. Und doch erscheint sie dem Leser im Laufe<br />

des Buches spröde, fast ungelenk, was herzliche Beziehungen angeht. Auf<br />

der Sach- <strong>und</strong> Karriereebene ist sie mehr zu Hause. Warum die beiden heiraten,<br />

ob sie gut zusammen passen, ist eine eher unklare Angelegenheit. Äußerlich<br />

aber hat alles seinen Sinn <strong>und</strong> seine Ordnung. Als perfektes Paar leiten<br />

sie ein erfolgreiches Architekturbüro, wohnen am Starnberger See <strong>und</strong><br />

führen ein angenehmes Leben. Nur der Kinderwunsch Sonjas bleibt unerfüllt.<br />

Doch Alex hat auch noch ein anderes Leben. Während seiner Studentenzeit<br />

hat er nicht nur Sonja, sondern auch Iwona kennengelernt. Die Polin<br />

Iwona, die illegal ohne Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland lebt, ist<br />

hässlich, plump, ungebildet, einem f<strong>und</strong>amentalen Katholizismus zugetan<br />

<strong>und</strong> absolut wortkarg. Sie wird mit so autistischen Zügen beschrieben, mit<br />

so viel abstoßenden Worten bedacht, dass der Leser nicht die geringste Sympathie<br />

<strong>für</strong> diese Frau aufbringen kann im Gegensatz zu Sonja, die die Grazie<br />

einer Audrey Hepburn oder Grace Kelly ausstrahlt.<br />

Und doch wird Alex immer wieder zu Iwona gehen, auch wenn er sieht,<br />

dass es nichts gibt, was sie verbindet, obwohl er sie verachtet. Er kann sich<br />

der stummen Hingabe von Iwona, ihrer bedingungslosen dumpfen Liebe,<br />

die sie <strong>für</strong> ihn hegt, nicht entziehen. Alex fühlt sich frei <strong>und</strong> lebendig bei<br />

Iwona. Warum das so ist, bleibt ihm ein Rätsel. Nicht anders ergeht es dem<br />

Leser, der Schwierigkeiten hat, diese Obsession nachzuvollziehen.<br />

Aber vielleicht ist es ja gerade die Aufgabe des Schriftstellers, darauf hinzuweisen,<br />

dass der Mensch ein unberechenbares Wesen ist, im letzten ein<br />

Geheimnis, das man nicht enthüllen kann, weil es einen einzigartigen Zugang<br />

zur Welt in sich trägt. Nicht alles, was man fühlt, was einem gut tut,<br />

was einen befriedigt, aber auch, was einen abstößt, kann man in Kategorien<br />

verpacken, mit dem Verstand erklären <strong>und</strong> einordnen.<br />

Andererseits kann man sich nicht der Verantwortung entziehen <strong>für</strong> sein<br />

Tun, <strong>und</strong> man zahlt <strong>für</strong> seine Taten immer einen Preis. Auch Alex wird ge-<br />

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