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Heft 18 /2010 - Deutsche Gesellschaft für Logotherapie und ...

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Sinn <strong>und</strong> Sein<br />

hört <strong>und</strong> sich in ihm Sinn <strong>und</strong> Sein vereinigen, bleibt es geheimnisvoll. Ist<br />

bei einer neuen Entscheidung eine halbe St<strong>und</strong>e später dasselbe Selbst am<br />

Werk? Mit Bestimmtheit wissen wir es nicht. Sprechen wir einfach vom<br />

„Selbst“ der jeweiligen Entscheidung; mehr ist vorläufig nicht zu sagen.<br />

Das Dunkel, das über dem Selbst liegt, erfasst auch das bestimmende Wirken<br />

der Werte. Der Gedanke der Bestimmung klingt am Ende des Gesprächsbeispiels<br />

an. Telos oder Entelechie nennt man sie mit Fremdwörtern. Als Sinn-<br />

Attraktor zieht sie, aber zwingt nicht. Ich fühle die Berufung zum Musiker,<br />

werde aber Verwaltungsbeamter. Das funktioniert; aber ich bin vielleicht<br />

weniger glücklich, weil ich meiner Berufung zuwidergehandelt habe. Gibt es<br />

solche Bestimmungen überhaupt (soweit sie mehr bedeuten als bloße Begabungen)?<br />

Gefühlsmäßig mag man dazu neigen, kann es aber nicht sicher sagen,<br />

weder allgemein noch konkret.<br />

Im Dunkeln bleibt schließlich, inwieweit der Sinn mit seiner Egozentrik<br />

Recht hat, inwieweit es wirklich „meine“ Entscheidung war. Der Strafverteidiger<br />

sagt über seinen Mandanten: „Er kann am allerwenigsten da<strong>für</strong>; es war<br />

die <strong>Gesellschaft</strong>, die ihn dazu gemacht hat“. Tatsächlich wird der Sinn in gehörigem<br />

Maße „transpersonal“ bestimmt. Fremdes Sein fließt ständig in ihn<br />

ein <strong>und</strong> durch ihn durch: die Gene, die er geerbt, die Verhaltensweisen, die<br />

er von den Vorfahren <strong>und</strong> der Umwelt übernommen hat, die Umwelteinflüsse,<br />

die auf ihn einwirken, die Normen, die ihm gesetzt sind. Wie groß aber<br />

die Anteile des Selbstgemachten – des vom Selbst frei Entschiedenen – <strong>und</strong><br />

des Übernommenen jeweils sind, vermag niemand zu sagen.<br />

So viel Dunkel – offensichtlich finden in der Tiefe des Subjekts die Rationalität<br />

der Philosophie <strong>und</strong> die Rationalität überhaupt ihre Grenze. Soll man es<br />

bedauern? Man täte nicht gut daran. Wäre es anders, würden wir nicht mehr<br />

als Menschen leben, sondern als Automaten, deren Abläufe der Ingenieur bis<br />

ins Letzte durchschaut. Zum Menschen gehört unabdingbar etwas, das man<br />

die „Bewusstseinsschwelle“ nennen kann; sie verhindert, dass er sich unmittelbar<br />

ins Herz schauen kann. An anderen Stellen mögen Nichtwissen <strong>und</strong><br />

Dunkelheit von Übel sein, nicht aber in der Tiefe des Sinnes <strong>und</strong> des Subjekts:<br />

Dort sind sie geradezu die Bedingung von Menschsein, Wert <strong>und</strong> Glück.<br />

Man könnte einwenden, hier werde die Betrachtung einer Lebensentscheidung<br />

– Heiratsentschluss – unzulässig verallgemeinert. Doch der Einwand<br />

zählt nicht. Ihm steht schon die Rückfrage entgegen: Wo würdest du die Grenze<br />

ziehen? Im Geist gibt es keine gr<strong>und</strong>sätzliche Grenze. Entscheidungen<br />

wurden nur wegen ihrer besonderen Anschaulichkeit als Beispiel herausgegriffen;<br />

ansonsten gilt nichts wesentlich Anderes. Wenn wir das Ahornblatt<br />

als gelb erkannt haben, lag keineswegs ein rein objektiver, sinn- <strong>und</strong> wert-<br />

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