22.11.2014 Aufrufe

Download - Freud Lacan Gesellschaft - Psychoanalytische ...

Download - Freud Lacan Gesellschaft - Psychoanalytische ...

Download - Freud Lacan Gesellschaft - Psychoanalytische ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

REISENOTIZEN, WARSClIAU, NOVEMBER 1995<br />

Psychoanalyse in Polen<br />

Edith Seifert<br />

Vom Berliner Hauptbahnhof bis zur polnischen Grenze braucht der<br />

Zug gut 30 Minuten, Zeit, die man innerhalb der Stadt schon rur die<br />

geringste Entfernung braucht. In Frankfurt/Oder angekommen, fü llen<br />

sich die Abteile noch einmal mit den großen rot-weiß-blau gestreiften<br />

Plastiktaschen der polnischen Reisenden. Die Ansage im EC wechselt,<br />

eine freundliche Stimme bedankt sich erst auf polnisch dann auf<br />

deutsch fLir die Mitfahrt. Solche ungewohnte Höflichkeit endet auf der<br />

Rückfahrt jäh mit der Grenze, ab da wird deutsch wiederderdominante<br />

Ton. Ab der Grenze scheint dann zunächst auch alles fremd zu sein.<br />

Gänse neben den Bahngleisen, ein Pferdewagen, Frauen mit Kopftüchern<br />

auf den Straßen. Tatsachen oder Täuschung bzw. verkitschte,<br />

stereotypisierte Konturen eines Tabubereichs? Man wird sehen. In<br />

Warschau angekommen, hat sich die Wahrnehmungjedenfalls wieder<br />

beruhigt. Kaum Geruch mehr von Osten, bis auf den von ein paar<br />

klapprigen Autos, kaum sozialistische Spuren, bis auf den großen<br />

Stalinbau, ehemaliger Palast der Kultur, der einem ins Auge springt,<br />

sowie man den Bahnhof verläßt, und dessen prunkvolle Pracht alle<br />

westlichen Besucher so mögen, wie sie den Polen verhaßt sein soll.<br />

Der Leiter des Gocthe-Instituts, der mich abgeholt hat, berichtet<br />

jedenfalls, daß man das grandiose Gebäude gleich nach der Wende am<br />

liebsten abgerissen hätte. Heute hat in Stalins Geschenk an die<br />

Warschauer u. a. Coca-Cola seinen Sitz, ebenso wie das Goethe­<br />

Institut, wo ich meinen Vortrag über die Ethik der Psychoanalyse<br />

halten soll. Eine ungewohnt höfliche Atmosphäre auch hier. Das<br />

Publikum, dem die Zumutungen der <strong>Lacan</strong>schen Wendungen nicht<br />

entgehen, reagiert darauf nicht, wie man erwarten könnte mit Empörung,<br />

vielmehr mit deutlich empfundenem Erstaunen. Mir rückt das<br />

41

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!