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Download - Freud Lacan Gesellschaft - Psychoanalytische ...

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DIE ZWEITE GESCHICHTE: DIE BAUGRUBE<br />

Anfang 92 unterrichtete ich an der Realschule Vaduz Zeichnen,<br />

jeweils am Samstagmorgen. Ich fuhr gegen halb zehn mit dem Fahrrad<br />

von Triesen nach Vaduz und bemerkte im Triesner Industrieviertel -<br />

das Blechkubus um Blechkubus den schmalen Streifen Ackerland<br />

zwischen Berghang und Rhein versiegelt - Aushubarbeiten flir einen<br />

Neubau. Ich zeichnete die Grube jeweils ca. eine Viertelstunde und<br />

schrieb am Nachmittag kleine Protokolle, die Bauarbeiten betreffend.<br />

Das fo lgende spielt sich von Mitte Jänner bis Mitte März ab.<br />

Das Grundstück quadrJtisch, ca. 20 x 20 m, in den Ecken schmale<br />

ungeschälte Stämme als Visierstangen. In der Mitte ist die Erde 2 m<br />

tief weggebaggert. Es ist Schwemmland, oben dunkel und lehmig,<br />

graublau glänzen die Bißspuren der Baggerzähne in der fe sten Erdwand,<br />

dann folgt Sand, fe in und pur, ab I m Tiefe. Zu sehen sind auch<br />

rostrote Einschlüsse, lagenweise, einen 1/2 m. Dann Kies, faustgroß,<br />

Rheingeschiebe; das Rostrote auch hier. Links der Grube ein Pflanzungsrest,<br />

strenge Linien Maisschäfte, sauber abgeschnitten, wie<br />

gelbe ausgeblasene Kerzen. Ein Teil des Aushubs ist über die Straße<br />

aufs gegenüberliegende Feld verbracht, ein Wall Erde, schwarz vor<br />

dem Tiefnebel, dem milchigen kalten Deckel über dem Tal.<br />

Eine Woche später. Ich fahre mit dem Fahrrad von Triesen talauswärts,<br />

zwischen Rheindamm und Kanal. Tiefnebel, keine Berge,<br />

keine Hänge, die Welt istflach und weiß und weit und leer und still und<br />

kalt, hinter mir der kahle Windschutzstreifen, links die leeren Felder,<br />

dann der Damm, rechts die Hecke der Schrebergärten. Vor mir traht<br />

ein Jogger, langsam, mit ganz kurzen Schritten, als wären seine Füße<br />

Hundepfoten. Ich komme näher, und während ich überhole, endet<br />

rechts die Hecke, und ein unmäßig großer gelber Trax mit einer<br />

riesigen pechschwarzen Schaufel steht da mitten im anschl ießenden<br />

Feld, viel zu groß für das flache leere Zimmer, das Nebel und Schnee<br />

zwischen Bäumen und Flußdamm bilden. Hinter dem Ungetüm, den<br />

Kanalbäumen zu, lange Reihen 2 m hoher Erdkegel, re gelmäßig<br />

nebeneinander gesetzt, oben flach gedrückt, viele, gestaffelt, ein paar<br />

hundert Meter, wie ein Feld kleiner kalter Vulkane.<br />

Es kommt so unerwartet, so heftig, der klobige Trax, die gähnende<br />

Schaufel, die abgeladenen Fuhren Aushubmaterial, und - wie ich den<br />

Jogger überhole - schaut mich erschreckt das kranke Gesicht eines<br />

älteren Mannes an, dick eingeschmiert mit weißer Salbe, als hätte ihn<br />

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