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Kein schöner Land in dieser Zeit. Verlorene ... - Reimar Oltmanns

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Erst als die SPD/FDP-Koalition vor fünf Jahren den Vertrag mit Warschau (1970)<br />

schloss, erkannte Ma<strong>in</strong>ka , dass dieses Deutschland e<strong>in</strong> Traum war. Seitdem will er <strong>in</strong> die<br />

Bundesrepublik, weil "die Ma<strong>in</strong>kas Deutsche bleiben sollen". Deshalb stellte die Familie<br />

(Schwiegertochter Monika: "Wir können Opa doch nicht alle<strong>in</strong> fahren lassen") seit 1970 jedes Jahr<br />

e<strong>in</strong>en Ausreiseantrag, dann die Genehmigung. Josef Ma<strong>in</strong>ka: "Jetzt fahren wir endlich heim <strong>in</strong>s<br />

Reich" - dorth<strong>in</strong>, wo Opa e<strong>in</strong>e Rente kriegt.<br />

Fahrkarten für den Ost-West-Express von Warschau nach Hoek van Holland haben auch<br />

der Elektro-Schweißer Werner Frewer, 37, se<strong>in</strong>e Frau Maria, 36, und se<strong>in</strong>e Schwiegermutter Maria<br />

Wiora aus Czarnowasy (Klosterbrück). "Mir brauchen Sie nichts zu erzählen", sagt die 64jährige.<br />

"Wenn wir im Zug sitzen, s<strong>in</strong>d wir ke<strong>in</strong>e Pollaken mehr. Dann denke ich nur noch an<br />

Deutschland." - "Gucken Sie sich doch mal den Dreck hier an", fährt Maria Wiora fort. "Bloß raus<br />

hier. In der Bundesrepublik liegen bestimmt ke<strong>in</strong>e Zigarettenkippen auf der Straße, da krakeelen<br />

nachts auch die Besoffenen nicht so rum."<br />

In Czarnowasy bei Opole gehörten die Frewers zu denen, die es zu etwas gebracht hatten.<br />

Als hochqualifizierter Industriearbeiter verdiente Werner Frewer e<strong>in</strong>en Spitzenlohn: 6.000 Zloty<br />

im Monat. Die Großmutter bekam 1.500 Zloty Rente und die Drei-Zimmer-Wohnung kostete nur<br />

460 Zloty Miete. Frewer: "Eigentlich kann ich mich nicht beklagen."<br />

Doch seit andere ausreisen durften, ist es den Frewers hier zu eng. Die Schwester hat e<strong>in</strong><br />

Eigenheim bei Düsseldorf, "e<strong>in</strong>en funkelnagelneuen Wagen mit zwei Garagen" (Schwiegermutter<br />

Maria). In Czarnowasy aber schauen sie immer noch <strong>in</strong> die Röhre des Uralt-Fernsehers (Baujahr:<br />

1963). Über der durchgesessenen Couch hängt e<strong>in</strong>e Postkarte der Verwandten aus der<br />

Bundeshauptstadt Bonn: e<strong>in</strong> blauer Rhe<strong>in</strong>, das Poppelsdorfer Schloss im Frühl<strong>in</strong>g. Im<br />

verschrammten Wohnzimmerschrank steht neben Sammeltassen und bunten Ostereiern e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er<br />

Nikolaus.<br />

"Weihnachten", freut sich Frau Maria, "feiern wir schon im Westen." Sie hoffen, bald e<strong>in</strong>e<br />

neue Wohnung beziehen und möglichst bald e<strong>in</strong> Auto kaufen zu können. Werner Frewer fragt uns,<br />

welcher Typ am preisgünstigsten ist. - Aber erst kommt das Ausnahmelager Friedland. Die<br />

Aufschrift auf der Frachtkiste, die schon im Wohnzimmer steht, er<strong>in</strong>nert daran. "Doch nur für vier<br />

Tage", beschwichtigt die Schwiegermutter. Und die e<strong>in</strong>e Million Arbeitslose? Schweißer Frewer hat<br />

ke<strong>in</strong>e Angst: "Ihr habt zwei Millionen Gastarbeiter. Die müsst ihr nach Hause schicken."<br />

Ob im schlesischen Industrie-Revier oder <strong>in</strong> den weiten Ebenen von Masuren - für alle<br />

Deutschen, die 1945 die Flüchtl<strong>in</strong>gstrecks verpassten, für jene, die erst Polen werden und dann<br />

doch Deutsche bleiben wollten, und für die, denen über Jahre die Ausreise verweigert wurde, ist<br />

Bundesdeutschland e<strong>in</strong>e paradiesische Fata Morgana.<br />

So für die 77jährige Bäuer<strong>in</strong> Johanna Krankowski aus Kopanki, die letztes Jahr zu Besuch<br />

"im Reich" war, wie sie es nennt. Stolz zeigt sie die Fotos ihrer K<strong>in</strong>der, die <strong>in</strong> der Bundesrepublik<br />

leben: Farbfernseher, Kühltruhe, Teppichboden. Und sagt: "Die haben mehr Apfels<strong>in</strong>en als wir<br />

Kartoffeln."<br />

Wenn es nach ihr g<strong>in</strong>ge, würde Johanna Krankowski lieber heute als morgen das Ermland<br />

verlassen. Aber ihre Tochter ("Heimat ist Heimat") will auf dem neun Hektar kle<strong>in</strong>en Hof bleiben.<br />

Weil die Altbäuer<strong>in</strong> ihrer Tochter nicht zutraut, alle<strong>in</strong> den Haushalt zu führen ("Als sie heiratete,<br />

konnte sie noch nicht e<strong>in</strong>mal Brot backen"), entschied sie sich dafür, ihren Lebensabend doch <strong>in</strong><br />

Kopanki zu verbr<strong>in</strong>gen.<br />

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