09.11.2012 Aufrufe

Kein schöner Land in dieser Zeit. Verlorene ... - Reimar Oltmanns

Kein schöner Land in dieser Zeit. Verlorene ... - Reimar Oltmanns

Kein schöner Land in dieser Zeit. Verlorene ... - Reimar Oltmanns

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Indes: von den etwa 2500 <strong>in</strong> Radom und Ursus verhafteten Arbeitern s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>zwischen nur<br />

noch e<strong>in</strong>e knappe Handvoll im Gefängnis. Parteichef Edward Gierek (1970-1980) hatte durch e<strong>in</strong>e<br />

Amnestie die Freilassung der meisten Inhaftierten erwirkt. Nur diese Art von Amnestie war ke<strong>in</strong><br />

Signal e<strong>in</strong>es ersehnten Kurswechsels, sondern lediglich e<strong>in</strong>e kalkulierte Entlastungsaktion des<br />

bedrängten Gierek-Regimes. Das zeigt sich bald <strong>in</strong> neuen Schlägen gegen Oppositionelle. E<strong>in</strong>e neue<br />

Dimension der Gewalt. Nach dem Bekanntwerden der Lynchjustiz <strong>in</strong> Radom und Ursus hatten<br />

prom<strong>in</strong>ente Schauspieler, Schriftsteller, Grafiker und Priester e<strong>in</strong> "Komitee zur Verteidigung der<br />

Arbeiter" gegründet, das zunächst nur Geld für die mittellos lebenden Familien der damals <strong>in</strong>haftierten<br />

Demonstranten organisierte (der im Kampf für Menschenrechte unermüdliche Literaturpreisträger<br />

He<strong>in</strong>rich Böll spendete e<strong>in</strong>en großen Teil se<strong>in</strong>er <strong>in</strong> Polen angelaufenen Tantiemen).<br />

Inzwischen ist das Komitee der Kristallisationspunkt e<strong>in</strong>er polnischen Bürgerrechtsbewegung<br />

geworden. Mitte Mai 1977 wurden vier Mitglieder dieses Komitees festgenommen und unter Anklage<br />

gestellt. Sie wurden beschuldigt, Studenten aufzuwiegeln und "Verb<strong>in</strong>dungen mit e<strong>in</strong>er ausländischen<br />

Organisation zu haben, deren Ziel die Verletzung der politischen Interessen der Volksrepublik<br />

Polen ist".<br />

Die Angeklagten - sie müssen mit Gefängnisstrafen bis zu fünf Jahren rechnen , wurden<br />

festgenommen, als sie gerade von Warschau aus nach Krakau zu e<strong>in</strong>er Beerdigung fahren wollten.<br />

In Krakau wurde nämlich der 23jährige Philosophie-Student Stanislaw Pyjas (*1953+1977) zu<br />

Grabe getragen. Er hatte an der Krakauer Universität Unterschriften gesammelt, mit der Forderung<br />

des "Komitees zur Verteidigung der Arbeiter" nach e<strong>in</strong>er parlamentarischen Untersuchung der<br />

Vorgänge von Radom und Ursus. Mitte April 1977 teilte Stanislaw Pyjas dem Krakauer Staatsanwalt<br />

mit, er sei <strong>in</strong> anonymen Briefen mit dem Tod bedroht worden. In e<strong>in</strong>em der Briefe hätte es geheißen:<br />

"Die Vertilgung solcher Leute auf jede mögliche Art ist zur <strong>Zeit</strong> die wichtigste Aufgabe."<br />

Achselzucken der Strafverfolger.<br />

Zwei Wochen später war Stanislaw Pyjas tot. In e<strong>in</strong>em Treppenhaus <strong>in</strong> der Krakauer Altstadt wurde<br />

er mit schweren Kopfverletzungen gefunden. Die Parteipresse stellte den plötzlichen Tod des<br />

Studenten als Unfall e<strong>in</strong>es Betrunkenen dar: "Der junge Mann hatte 2,6 Promille Alkohol im Blut."<br />

Der amtliche Obduktionsbericht wurde zur Geheimsache erklärt. Es gibt Augenzeugen, die den<br />

Toten gesehen haben. Er hatte Verletzungen unter den Augen und e<strong>in</strong>en zertrümmerten Kiefer -<br />

nach Ansicht von Ärzten typische Merkmale von schwersten Schlägen.<br />

298

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!