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Kein schöner Land in dieser Zeit. Verlorene ... - Reimar Oltmanns

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schon rechtskräftig wegen Befehlsverweigerung und Fahnenflucht zu sechs Monaten Haft mit<br />

Bewährung verurteilt.<br />

Der katholische Seelsorger Egon Spiegel war Zeuge des Verhörs:<br />

Stärk: Was man beim Militär lernt, verstößt gegen alles, was ich gelernt und geliebt habe ...<br />

Lieber würde ich sterben, als auf e<strong>in</strong>en anderen Menschen zu schießen ...Eher verreck' ich hier im<br />

Knast, als noch e<strong>in</strong>mal zur Bundeswehr zu gehen.<br />

Vorsitender Gauger: Herr Stärk, wenn Sie aus religiösen Gründen verweigern wollen, dann<br />

kennen Sie doch sicherlich die Zehn Gebotes. Sagen Sie sie doch e<strong>in</strong>mal auf.<br />

Stärk: Das erste Gebot heißt: Du sollst nicht töten. Das zweite heißt: Du sollst de<strong>in</strong>en<br />

Nächsten lieben wie dich selbst. Menschen will ich helfen ...<br />

Gauger: Falsch, Herr Stärk, "Du sollst nicht töten", ist das sechste Gebot. So können wir<br />

Sie nicht anerkennen.<br />

Seelsorger Spiegel: Herr Vorsitzender, Sie kennen die Zehn Gebote ja selbst nicht. Es ist das<br />

fünfte Gebot, was Sie me<strong>in</strong>en ...<br />

Gauger: Wer will denn hier verweigern. Wir doch nicht. Stärk rasselte durch die<br />

Gewissensprüfung, wurde aus der Haft entlassen und zurück zur Truppe geschickt. Er verweigerte<br />

erneut. Nach e<strong>in</strong>em Tag hatten ihn die Oberndorfer Knackis wieder. Jetzt muss er mit e<strong>in</strong>er<br />

Haftstrafe von über e<strong>in</strong>em Jahr rechnen. Diesmal ohne Bewährung. Peter Stärk resigniert: "Mir<br />

kann jetzt nur noch e<strong>in</strong> Psychiater helfen. Hoffentlich werde ich bald zur Untersuchung geschickt."<br />

Dann ist er Patient. Dabei hätte Peter Stärk <strong>in</strong> München-Haar, der zweitgrößten<br />

psychiatrischen Anstalt der Bundesrepublik mit 2.900 Patienten, "gern als Pfleger gearbeitet". In<br />

dem Krankenhaus s<strong>in</strong>d 30 Zivildienstleistende e<strong>in</strong>gesetzt. Im Haus 3, der Sterbestation, s<strong>in</strong>d es der<br />

Diplomkaufmann Willy Kistler, 26, der Schre<strong>in</strong>ergeselle Hermann Lux, 21.<br />

Anfangs hatten Hermann und Willy e<strong>in</strong>e "wahns<strong>in</strong>nige Abneigung", die alten Leute<br />

anzufassen. Hermann Lux: "Als ich das erste Mal hier h<strong>in</strong>schaute, dachte ich, das packst du nie."<br />

Morgens um sieben Uhr beg<strong>in</strong>nt der Dienst; Frühstück zubereiten, die Patienten waschen,<br />

umbetten oder anziehen. Bettenmachen. Spucknäpfe und Nachttöpfe re<strong>in</strong>igen.<br />

Medikamentenausgabe. Räume saubermachen, Mittagsessen. Am Abend das Gleiche.<br />

Dazu die täglichen Zwischenfälle: E<strong>in</strong>er der Alten bricht plötzlich zusammen, e<strong>in</strong> anderer<br />

stirbt. Im Bett 5 macht e<strong>in</strong> Opa <strong>in</strong>s Bett. Im Bett 8 we<strong>in</strong>t e<strong>in</strong> 78jähriger vor sich h<strong>in</strong>, weil ke<strong>in</strong>er<br />

se<strong>in</strong>e Lebensgeschichte mehr hören will.<br />

Für Willy und Hermann Tag für Tag dasselbe. Sechzehn Monate lang, für 450 Mark im<br />

Monat. Noch e<strong>in</strong>mal vor die Entscheidung gestellt, Bundeswehr oder Pflege psychisch kranker<br />

Greise, würden Willy Kister und Hermann Lux jedoch ke<strong>in</strong>e Sekunde zögern. "Wir würden's noch<br />

mal machen."<br />

Chefarzt Christof Schulz ist mit den Zivildienst-leistenden "außerordentlich zufrieden".<br />

Wenn es nach dem CSU-Mitglied g<strong>in</strong>ge, könnten noch weitere 100 Kriegsdienstverweigerer <strong>in</strong> der<br />

Anstalt arbeiten: "Für solche schwere Fälle ist doch heute sonst kaum jemand zu bekommen." Der<br />

CSU-Bezirkstagsabgeordnete Günther Schuppler fordert deshalb: "Das Prüfungsverfahren sollte<br />

man abschaffen."<br />

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