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Kein schöner Land in dieser Zeit. Verlorene ... - Reimar Oltmanns

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Fördehotel <strong>in</strong> Kiel-Friedrichsort gesichtet worden, <strong>in</strong> dem gerade e<strong>in</strong>e Tagung der KPD/ML Rote<br />

Garde stattfand. Auch hätte die staatliche Observation ergeben, dass die Lehrer<strong>in</strong> an mehreren<br />

Sitzungen des KBW und sogar an e<strong>in</strong>er Kundgebung für den von den Nazis im KZ liquidierten<br />

KPD-Chef Ernst Thälmann (*1886+1944) teilgenommen habe.<br />

In der rhe<strong>in</strong>land-pfälzischen Geme<strong>in</strong>de Annweiler blieb die 23jährige Angelika Boppel auf<br />

der Strecke. Sie hätte, so lautete der Vorwurf, "auf dem Schulhof des neusprachlichen Gymnasiums<br />

<strong>in</strong> Pirmasens die von e<strong>in</strong>em 'sozialistischen Arbeitskreis' herausgegebene Schülerzeitschrift<br />

'Knüppel aus dem Sack' verteilt". Es half ihr nichts, dass sie die Anschuldigung widerlegen konnte.<br />

Als der Ma<strong>in</strong>zer Verfassungsschützer Hugo Schröpfer den Irrtum endlich zugab, waren alle <strong>in</strong><br />

Frage kommenden Posten besetzt.<br />

Verschärft wurden Überprüfung und Ausspähung l<strong>in</strong>ksverdächtiger junger Leute durch<br />

e<strong>in</strong>e deutsche Erf<strong>in</strong>dung besonderer Art: die sogenannte Anhörung.<br />

Da laden Beamte, häufig noch <strong>in</strong> Treue fest zu reaktionären Staatsvorstellungen aus<br />

Kaisers und Hitlers <strong>Zeit</strong>en, junge Leute vor und verhören sie wie früher die Inquisitoren der<br />

katholischen Kirche. Sie fragen auch nach allem, was sie nach dem Grundgesetz nichts angeht,<br />

etwa nach der Intimsphäre.<br />

Diese Erf<strong>in</strong>dung ist so bürokratisch wie unnütz: Unerfahrene junge Leute lassen sich<br />

durch die Beamten-Fragen oft provozieren und werden für e<strong>in</strong>e unbedachte Äußerung verfolgt;<br />

geschulte und getarnte Kommunisten, die es darauf anlegen, <strong>in</strong> den Staatsdienst zu kommen,<br />

spielen auf der Klaviatur der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (FDGO) und schlüpfen<br />

durchs Netz wie etwa der Kanzleramts-Spion Günter Guillaume (*1927+1995) bei der<br />

Sicherheitsüberprüfung, als er Sprüche des rechten SPD-Flügels klopfte.<br />

In den meisten Fällen kommt das unwürdige Frage-und-Antwort-Spiel nicht an die<br />

Öffentlichkeit. Denn über die Bewerber wird <strong>in</strong> der undurchsichtigen Grauzone der Bürokratie<br />

entschieden. Ist e<strong>in</strong> Kandidat erst e<strong>in</strong>mal von e<strong>in</strong>er Behörde als "Verfassungsfe<strong>in</strong>d" gebrandmarkt,<br />

rufen viele erst gar nicht die Gerichte an, und wenn, wird es dem Betroffenen schwerfallen, die<br />

Richter vom Gegenteil zu überzeugen - schließlich hat er die Beweislast. Dieses Verfahren vom<br />

SPD-Bundesparteitag 1973 <strong>in</strong> Hannover gefordert, sollte e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>dividuelle, rechtsstaatliche<br />

Überprüfung sicherstellen. In der Praxis wurde aber damit die Entscheidungsbefugnis den<br />

Gerichten genommen und der Verwaltung zugeschustert.<br />

E<strong>in</strong> Prüfungs-Profi ist der niedersächsische M<strong>in</strong>isterialrat Gottfried Jakob. Seit drei Jahren<br />

ist für den 43jährigen Spitzenbeamten jeder Dienstag e<strong>in</strong> FDGO-Tag. Jeweils vier Stunden lang<br />

verhört er e<strong>in</strong>en Bewerber - Jakob nennt das "Interview". Nachmittags diktiert er se<strong>in</strong>e bis zu 15<br />

Seiten langen Gutachten aufs Band. Die Aufregung über den Radikalen-Erlass kann er überhaupt<br />

nicht verstehen. Der hochgewachsene Brillenträger mit der kahlen Stirn und den Skeptikerfalten<br />

um Nase und Mund kümmert sich seit 1965 um Personale<strong>in</strong>stellungen. Seit dem Radikalen-Erlass,<br />

me<strong>in</strong>t er, sei alles rechtsstaatlicher geworden: "Früher bekamen die Bewerber ihre Ablehnung nur<br />

schriftlich mitgeteilt, heute werden sie noch e<strong>in</strong>mal angehört." Jakob ist Chef der Zentralen<br />

Anhörkommission <strong>in</strong> Niedersachsen. Mit Hunderten von Radikalen hat er schon "die gesamte<br />

Palette verfassungsrechtlich relevanter D<strong>in</strong>ge" durchgenommen, "ganz persönlich und ganz<br />

<strong>in</strong>dividuell". Wenn Jakob von "persönlich" oder "<strong>in</strong>dividuell" spricht, me<strong>in</strong>t er se<strong>in</strong>e siebenköpfige<br />

Kommission, die dem Betroffenen gegenübersitzt und <strong>in</strong> der er nach se<strong>in</strong>em Rout<strong>in</strong>e-Raster fragt:<br />

"Würden Sie bitte Ihr Verhältnis zur DKP erläutern? –<br />

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