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Kein schöner Land in dieser Zeit. Verlorene ... - Reimar Oltmanns

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h<strong>in</strong> durchleuchtet worden - bespitzelt, verhört und schikaniert. Über 4.000 Bewerber für den<br />

öffentlichen Dienst wurden von Ämtern und Gerichten mit Berufsverboten belegt. Die<br />

Dunkelziffer kennt man nicht, denn viele der Abgelehnten protestieren erst gar nicht, weil sie die<br />

10.000 Mark für mögliche Gerichts- und Anwaltskosten bis zur letzten Instanz nicht haben - kaum<br />

aufbr<strong>in</strong>gen können.<br />

Mit der Ges<strong>in</strong>nungsüberprüfung von jungen Leuten, die Lehrer beim <strong>Land</strong>, Lokführer bei<br />

der Bundesbahn, Fernmeldetechniker bei der Post, Friedhofsgärtner bei der Stadt oder Müllmänner<br />

bei der Geme<strong>in</strong>de werden wollten, s<strong>in</strong>d nach Schätzungen des SPD-Bundestagsabgeordneten<br />

Rudolf Schöfberger (1972-1994) bundesweit rund 10.000 Beamte beschäftigt. Für diesen Apparat<br />

liefern rund 20.000 Spitzel des Bundesamtes und der <strong>Land</strong>esämter für Verfassungsschutz sowie der<br />

Politischen Polizei Informationen.<br />

Das Modell I der Überprüfung, das harmlosere, wird <strong>in</strong> Hamburg und Bremen<br />

angewandt: Die E<strong>in</strong>stellungsbehörden fragen beim <strong>Land</strong>esamt für Verfassungsschutz nach, was<br />

über den Kandidaten an politischen Informationen vorliegt. Die Verfassungsschützer sieben das<br />

vorliegende Material und geben nur weiter, was ihnen relevant ersche<strong>in</strong>t - etwa: ob der Bewerber<br />

Mitglied der DKP oder e<strong>in</strong>er anderen roten Sekte ist.<br />

Modell II läuft im Rest der Republik: Die <strong>Land</strong>esämter für Verfassungsschutz übergeben<br />

den E<strong>in</strong>stellungsbehörden alles Material. E<strong>in</strong> Beispiel für die Folgen solcher Praktiken: Der<br />

Münchner Student Franz Hubmayer wurde 1976 als Aushilfsbriefträger für die Semesterferien<br />

abgelehnt, nachdem der Verfassungsschutz mitgeteilt hatte, Hubmayer habe 1969 an e<strong>in</strong>er<br />

Hausbesetzung teilgenommen.<br />

Weitere Erfolge: In Tüb<strong>in</strong>gen lehnte das Oberschulamt den Sportstudenten Josef Enenkel<br />

als Referendar für e<strong>in</strong> Gymnasium an. Begründung: Enenkel sei DKP-Mitglied. Als Beweis legten<br />

die Oberpädagogen Fotos vor, die den Sportstudenten beim Verkauf von Büchern der<br />

renommierten DDR-Schriftsteller<strong>in</strong> Anna Seghers (*1900+1983) zeigten.<br />

In Braunschweig feuerte die Bundeswehr ihren Koch Norbert Spröer. Der Militärische<br />

Abschirmdienst (MAD) hatte ermittelt, dass der Soldat <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er frühen Jugend e<strong>in</strong>mal Mitglied der<br />

DKPnahen "Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend" (SDAJ) gewesen war. Obwohl Spröer<br />

schon sieben Jahre <strong>in</strong> der Bundeswehr diente und es bis zum Stabsunteroffizier gebracht hatte,<br />

reichte die frühere Mitgliedschaft zur fristlosen Entlassung. Im Bundestag fragte der SPD-<br />

Abgeordnete Peter Conradi (1972-1998) die Bundesregierung, ob der "Bundeswehr-Koch se<strong>in</strong>e die<br />

Sicherheit der Armee gefährdende Ges<strong>in</strong>nung dadurch ausgedrückt habe, dass er auffällig oft rote<br />

Grütze, Rotkohl oder rote Bete serviert hat?"<br />

In se<strong>in</strong>er Antwort dementierte Staatssekretär Andreas von Bülow (1976-1980) e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>terne<br />

Anweisung der Wehrbereichsverwaltung II <strong>in</strong> Hannover nicht. Danach haben Personen, „deren<br />

Ges<strong>in</strong>nung und ideologisches Bewusstse<strong>in</strong> erwiesenermaßen anders geartet ist, <strong>in</strong> der Bundeswehr<br />

ke<strong>in</strong>en Platz“. Im offiziellen Kündigungsschreiben an Norbert Spröer hieß es unter anderem<br />

folglich, er habe „<strong>in</strong> allgeme<strong>in</strong>en Gesprächen <strong>in</strong> Frühstückspausen anlässlich der Olympischen<br />

Spiele 1976 die Erfolge der DDR-Sportler auf e<strong>in</strong>e im Vergleich zur Bundesrepublik wirksamere<br />

Jugend und Sportförderung zurückgeführt.“<br />

Im schleswig-holste<strong>in</strong>ischen Elmshorn praktizierten die Kultusbürokraten sogar schon<br />

Sippenhaft. Die parteilose 29jährige Lehrer<strong>in</strong> Jutta Kommnick sollte von der Realschule fliegen,<br />

weil ihr Ehemann als Betriebsrat auf e<strong>in</strong>er Liste der maoistischen KPD/ML kandidiert hatte. Zum<br />

Beweis ihrer eigenen "Anfälligkeit" wurde Jutta Kommnick vorgehalten, ihr Auto sei vor e<strong>in</strong>em<br />

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