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Kein schöner Land in dieser Zeit. Verlorene ... - Reimar Oltmanns

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EINWANDERUNG: WIR WOLLEN DEUTSCHE WERDEN -<br />

SCHICKSALE<br />

Weltweit s<strong>in</strong>d zu Beg<strong>in</strong>n des 21. Jahrhunderts 190 Millionen Menschen als<br />

Auswanderer unterwegs. Rund drei Millionen standen schon <strong>in</strong> den siebziger Jahren<br />

Schlange für e<strong>in</strong>en deutschen Pass. Durch verschärftes Asyl- und Aufenthaltsrecht <strong>in</strong><br />

Europa wird der Weg mühsam -demütigend.<br />

ZEITmagaz<strong>in</strong>, Hamburg vom 21. September 1979<br />

Die 15jährige Jasm<strong>in</strong>a kauert im Sessel und liest die Partitur von Rachman<strong>in</strong>ows zweiten<br />

Klavierkonzert. Derweil blättert ihre Mutter Anastasia <strong>in</strong> vergilbten Dokumenten. Beide s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong><br />

wenig nervös. E<strong>in</strong>e Dame vom Jugendamt Berl<strong>in</strong>-Charlottenburg hat sich zum Hausbesuch<br />

angesagt. Für Mutter und Tochter geht es darum, dass die Behörden-Visite positiv ausfällt. Nur<br />

dann können sie erreichen, was für Bundesbürger selbstverständlich ist: deutscher Nationalität zu<br />

se<strong>in</strong>.<br />

Obwohl die Dame vom Jugendamt die Akten der Samssulis kennt, lässt sie sich nochmals<br />

ausführlich die beiden Lebenswege erzählen. Schließlich komme es ja auch auf den "persönlichen<br />

E<strong>in</strong>druck" an, bemerkt sie dezent.<br />

Die 39jährige Anastasia Samssuli wurde <strong>in</strong> Griechenland geboren. Während der<br />

Bürgerkriegswirren im Jahre 1948 nahmen flüchtende Partisanen das damals neunjährige Mädchen<br />

mit über die Grenze nach Bulgarien. Anastasia wuchs mit Exilgriechen <strong>in</strong> Sofia auf und bestand<br />

dort ihr Abitur. In der DDR ließ sie sich 1964 zur mediz<strong>in</strong>isch-technischen Assistent<strong>in</strong> ausbilden.<br />

Im selben Jahr wurde Jasm<strong>in</strong>a <strong>in</strong> Potsdam geboren. Sie ist das K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>er kurzfristigen, da offiziell<br />

unerwünschten Liaison zwischen ihrer Mutter und e<strong>in</strong>em nigerianischen Studenten, der sich schon<br />

bald nach der Geburt nach Afrika abgesetzt hatte und seither nichts mehr von sich hören ließ. Als<br />

die Griech<strong>in</strong> Samssuli gedrängt wurde, DDR-Bürger<strong>in</strong> zu werden, blieb sie nach e<strong>in</strong>er Urlaubsreise<br />

im Westen.<br />

Seit acht Jahren leben Anastasia und ihre Tochter Jasm<strong>in</strong>a nunmehr <strong>in</strong> West-Berl<strong>in</strong>. Die<br />

Mutter arbeitet <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Krebs-Kl<strong>in</strong>ik, Jasm<strong>in</strong>a geht auf das humanistische Goethe-Gymnasium,<br />

spielt Klavier, paukt Mathematik und Late<strong>in</strong>. Die Samssulis sprechen akzentfreies Deutsch. Sie<br />

zählen Deutsche zu ihren Freunden, die Mutter könnte sich "gar ke<strong>in</strong>en besseren Job wünschen",<br />

die Tochter will nach bestandenem Abitur Mathematik und Musik studieren.<br />

Dennoch s<strong>in</strong>d die Samssulis für die Behörden e<strong>in</strong>e Rarität. Die Mutter ist e<strong>in</strong>e Weiße, ihre<br />

Tochter e<strong>in</strong>e Farbige, die Mutter e<strong>in</strong>e Griech<strong>in</strong> ohne Papiere ihres <strong>Land</strong>es, die Tochter staatenlos.<br />

So ziemlich alle gängigen Vorurteile treffen auf die beiden zu. Heimatlos und aus dem Osten,<br />

unehelich und schwarz noch dazu. "Kommunistische Weltenbummler mit e<strong>in</strong>em bundesdeutschen<br />

Fremdenpass", spottet Jasm<strong>in</strong>a.<br />

Sie möchte "dieses unerträgliche Stigma" endlich verlieren. Sie möchte wie jeder<br />

Bundesbürger ohne Visum durch Westeuropa reisen können, nicht an jeder Grenze durchsucht<br />

werden, nicht immer das Geraune e<strong>in</strong>er wartenden Touristenschlange ertragen müssen - nicht<br />

selten mit dem Zusatz: Wann es denn endlich weiterg<strong>in</strong>ge oder ob die Schwarze immer noch nicht<br />

wüsste, was e<strong>in</strong> gültiger Ausweis sei. Dass K<strong>in</strong>der ihr auf der Straße "Kaba, Kaba" nachrufen, daran<br />

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