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Kein schöner Land in dieser Zeit. Verlorene ... - Reimar Oltmanns

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Kleider mir denen e<strong>in</strong>es arabischen Mannes; <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em langen weißen Burnus, schnitt sich ihre<br />

Haare ab und setzte sich e<strong>in</strong>en Turban auf; fortan nannte sich Isabelle männlich Si Mahmoud<br />

Saadi.<br />

Immerh<strong>in</strong> konnte sich Isabelle von ihren Honoraren ihre Reiseberichte e<strong>in</strong> Pferd leisten.<br />

Mit ihm zog sie alle<strong>in</strong> durch die Sahara. Im Jahre 1901 heiratete sie Slimène Ehni, e<strong>in</strong>en Leutnant<br />

der algerischen Hilfstruppen des französischen Kolonialregimes. Beide führten aber ke<strong>in</strong>e Ehe im<br />

herkömmlichen S<strong>in</strong>ne, lebten nie zusammen. War es Isabelle, die es immer wieder <strong>in</strong> die Wüste - <strong>in</strong><br />

die E<strong>in</strong>samkeit zog. Sie rauchte Kif, trank viel, leidenschaftlich viel Alkohol und trat unablässig als<br />

Mann auf; <strong>in</strong> der Kleidung männlicher Bedu<strong>in</strong>en, Burnus und Reitstiefel. Konflikte mit der<br />

Kolonial-Adm<strong>in</strong>istration waren vorprogrammiert, brachen auch immer wieder auf.<br />

Frankreichs Männer der Fremdenlegion missbilligten Lebensstil wie Lebensverständnis<br />

<strong>dieser</strong> Frau, die sie eher e<strong>in</strong>em ihrer Wüsten-Bordelle übergeben hätten als <strong>in</strong> ihr e<strong>in</strong>e fem<strong>in</strong>istische<br />

Vorkämpfer<strong>in</strong> autonomer Frauenrechte zu sehen. Männer, die nach romantisch unterlegten<br />

Legenden von Legionären auf Kamelen im Jahre 1843 südlich von Oran e<strong>in</strong>e Stadt namens Sidi Bel<br />

Abbes gründeten. - E<strong>in</strong> Wüstenort von e<strong>in</strong>er Stadtmauer mit vier Toren umschlossen wurde das<br />

Hauptquartier kolonialistischer Allgegenwart, Zentrum der Fremdenlegion; e<strong>in</strong>er gefürchteten<br />

Sondertruppe mit Freiwilligen aus vielen Ländern. Ihre Brutalität galt als Beleg für "berufliche<br />

Kompetenz". Von hier aus "putschte" die OAS (Organisation Armée Secrète) gegen die eigene<br />

Pariser Regierung. Vom reichen kolonialen <strong>Land</strong>adel gekaufte Söldner sollten Anfang der sechziger<br />

Jahre mit Waffengewalt gegen Pariser Beschlüsse, Algerien se<strong>in</strong>e Unabhängigkeit zu geben. Folter,<br />

Massaker, bestialische Quälereien, Menschenrechtsverletzungen zählten zu rout<strong>in</strong>egeübten Tages-<br />

Abläufen; von 7 Uhr morgens bis zum Sonnenuntergang Schmerzensschreie. (Christian Reder,<br />

Elfie Semontan: Sahara, Verlag Spr<strong>in</strong>ger, Wien, New York, 2004)<br />

Es waren die gefürchteten Jahre, die Befehls- und Kommandojahre über Leben und Tod,<br />

des französischen Generals Jacques Massu (*1908+2002) - e<strong>in</strong>er der bedeutendsten Soldaten<br />

Frankreichs im 20. Jahrhundert. Im Januar 1957 übernahm Massu den Oberbefehl über die Region<br />

Algier. Er ließ <strong>in</strong> der Kasbah algerische Freiheitskämpfern der FLN niedermetzeln oder auch<br />

"säubern", wie es damals noch bezeichnenderweise hieß. Schmauchspuren. Friedhofsruhe. Im<br />

Mutterland Frankreich vornehmlich schmückten ihn se<strong>in</strong>e <strong>Land</strong>sleute mit Pauken wie Fanfaren;<br />

Ehrentitel wie der "Held von Algier" <strong>in</strong>begriffen. Gefoltert haben se<strong>in</strong>e Soldaten aus dem <strong>Land</strong> der<br />

Menschenrechte - rund um die Uhr, Haus um Haus, Vergewaltigungen <strong>in</strong>begriffen. Verständlich,<br />

dass e<strong>in</strong> solcher General der Kolonialherren bei den Algerienfranzosen („Pieds Noirs“) beliebt war<br />

- gar Quälereien, bestialische Schmerzen als "erträglich" befand. Von den Tätern <strong>dieser</strong><br />

blutrünstigen Epoche ist niemand zur Rechenschaft gezogen worden. Im späten Alter, zwei Jahre<br />

vor se<strong>in</strong>em Tod, gestand er "systematisch Folterungen während des Algerienkrieges" e<strong>in</strong>. Jacques<br />

Massu: "Ich bereue".<br />

Erst 1999 mochte Frankreichs Parlament, die Nationalversammlung, den Begriff<br />

"Algerienkrieg" offiziell zulassen. Bis dah<strong>in</strong> war nach französischer Lesart lediglich von<br />

"Ereignissen" gesprochen worden. "Ereignisse", die 1,7 Millionen französische Soldaten <strong>in</strong><br />

Nordafrika kämpfen ließen, von denen 25.000 getötet und 60.000 verwundet wurden. "Ereignisse",<br />

die auf algerischer Seite 1,7 Millionen Menschen <strong>in</strong> den Tod schickten.<br />

Der Philosoph Jean-Paul Sartre (*1905+1980) nannte Fanons-Buch "Verdammte <strong>dieser</strong><br />

Erde" e<strong>in</strong>en "Striptease unseres Humanismus". Dar<strong>in</strong> versuchte Frantz Fanon nachzuweisen, dass<br />

die Deklassierten und Kolonialisierten der Dritten und Vierten Welt gegen Gewalt der<br />

Unterdrückung nur e<strong>in</strong> Mittel haben: mit Gewalt zu antworten, weil sie alle<strong>in</strong> die psychischen<br />

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