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PDF (2,8 MB) - kunst verlassen

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232<br />

Anmerkungen Christian Janecke<br />

Zweckmäßigen ohne Zweck. Und nimmt man den Regelkanon<br />

in seiner Gänze, so situiert er Chindogu recht genau zwischen<br />

(ästhetischer) Fiktion und (alltagspraktischer) Realität – ohne<br />

hehren Kunstan-spruch wohlgemerkt. Das Paradox ist also, daß<br />

Chindogu freiwillig dem Kunstanspruch entsagt, wiewohl es der<br />

Vielschichtigkeit der Kunst geneigt ist, während besagte Kunstprodukte<br />

und -projekte künstlerisch legitim werden, indem sie<br />

die Kunst zugunsten einer ihrer Komponenten – vielleicht eines<br />

Kontrahenten –, nämlich der Praxisrelevanz, vereinseitigen.<br />

Die Künstler und ihre Vor- und Nachdenker beeilen sich, die<br />

eindeutige Praxisrelevanz13 12 � 290 12<br />

der Dienstleistungen oder Produktprototypen<br />

hervorzuheben, ahnend, daß ihnen nur so die<br />

Aufmerksamkeit einer saturierten Kunstwelt zuteil wird. Das aufgrund<br />

knapper finanzieller und infrastruktureller Ressourcen oft<br />

genug Dilettantische der Ausführung und Planung wird in Distribution<br />

und Verbalanpreisung nach Kräften unterdrückt und<br />

selten von der Not zur Tugend erhoben – die es ästhetisch doch<br />

sein könnte! Aber dazu später. Liest und blättert man in einschlägigen<br />

Publikationen, Broschüren und Katalogen im Umkreis der<br />

Service-Kunst, so erstaunt das angestrengt professionelle Image:<br />

Hartnäckig bekennt man sich zur Praxisrelevanz der eigenen Projekte<br />

und verweist stolz auf jenen Anwohner aus der Nachbarschaft,<br />

der jüngst nachweislich wirklich nur ein Ticket im „Rei-<br />

13 Bezeichnend, daß eine prominente, mit Praxisrelevanz sympathisierende<br />

Autorin wie Isabelle Graw bezüglich der Begriffsverschiebungen<br />

im Bereich „Kunst“ bekennt: „Ein Beispiel der Naturalisierung eines<br />

solchen Vokabulars ist der häufige Gebrauch, auch bei mir selbst, von<br />

‚künstlerische Praxis‘ statt ‚Kunst machen‘ oder ‚Arbeit‘. Künstlerische<br />

Praxis heißt, daß die Kunst nicht an ihren Grenzen endet, sondern eine<br />

Aktivität ist, die auf das Leben einwirkt, daß sie einer Operation ähnelt.“<br />

Redebeitrag zur Podiumsdiskussion: „Kritische Foren: Die Organisation<br />

von Oppositionalität“, in M. Babias: „Im Zentrum der Peripherie“,<br />

S. 151 – 203, zit. S. 158.<br />

14 Jens Haaning richtete in der Galerie Mehdi Chouakri (Berlin/1997)<br />

ein „Reisebüro“ ein. Nicht benutzte Tickets wurden nach dem Verfall<br />

zum Kunstwerk, so daß der bereits im Reisebüro service-künstlerisch<br />

initiierte Wechselbezug von Kunst und Praxis für den Kunden ein weiteres<br />

Mal aktuell wurde: Er entschied, ob ihm eine Reise oder eine Kunstaktie<br />

lieber war. Vgl. „Flash Art“, Bd. 30, Nr. 197, Nov./Dez. 1997,<br />

S. 116 f.

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