PDF (2,8 MB) - kunst verlassen
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Anmerkungen Christian Janecke<br />
Zweckmäßigen ohne Zweck. Und nimmt man den Regelkanon<br />
in seiner Gänze, so situiert er Chindogu recht genau zwischen<br />
(ästhetischer) Fiktion und (alltagspraktischer) Realität – ohne<br />
hehren Kunstan-spruch wohlgemerkt. Das Paradox ist also, daß<br />
Chindogu freiwillig dem Kunstanspruch entsagt, wiewohl es der<br />
Vielschichtigkeit der Kunst geneigt ist, während besagte Kunstprodukte<br />
und -projekte künstlerisch legitim werden, indem sie<br />
die Kunst zugunsten einer ihrer Komponenten – vielleicht eines<br />
Kontrahenten –, nämlich der Praxisrelevanz, vereinseitigen.<br />
Die Künstler und ihre Vor- und Nachdenker beeilen sich, die<br />
eindeutige Praxisrelevanz13 12 � 290 12<br />
der Dienstleistungen oder Produktprototypen<br />
hervorzuheben, ahnend, daß ihnen nur so die<br />
Aufmerksamkeit einer saturierten Kunstwelt zuteil wird. Das aufgrund<br />
knapper finanzieller und infrastruktureller Ressourcen oft<br />
genug Dilettantische der Ausführung und Planung wird in Distribution<br />
und Verbalanpreisung nach Kräften unterdrückt und<br />
selten von der Not zur Tugend erhoben – die es ästhetisch doch<br />
sein könnte! Aber dazu später. Liest und blättert man in einschlägigen<br />
Publikationen, Broschüren und Katalogen im Umkreis der<br />
Service-Kunst, so erstaunt das angestrengt professionelle Image:<br />
Hartnäckig bekennt man sich zur Praxisrelevanz der eigenen Projekte<br />
und verweist stolz auf jenen Anwohner aus der Nachbarschaft,<br />
der jüngst nachweislich wirklich nur ein Ticket im „Rei-<br />
13 Bezeichnend, daß eine prominente, mit Praxisrelevanz sympathisierende<br />
Autorin wie Isabelle Graw bezüglich der Begriffsverschiebungen<br />
im Bereich „Kunst“ bekennt: „Ein Beispiel der Naturalisierung eines<br />
solchen Vokabulars ist der häufige Gebrauch, auch bei mir selbst, von<br />
‚künstlerische Praxis‘ statt ‚Kunst machen‘ oder ‚Arbeit‘. Künstlerische<br />
Praxis heißt, daß die Kunst nicht an ihren Grenzen endet, sondern eine<br />
Aktivität ist, die auf das Leben einwirkt, daß sie einer Operation ähnelt.“<br />
Redebeitrag zur Podiumsdiskussion: „Kritische Foren: Die Organisation<br />
von Oppositionalität“, in M. Babias: „Im Zentrum der Peripherie“,<br />
S. 151 – 203, zit. S. 158.<br />
14 Jens Haaning richtete in der Galerie Mehdi Chouakri (Berlin/1997)<br />
ein „Reisebüro“ ein. Nicht benutzte Tickets wurden nach dem Verfall<br />
zum Kunstwerk, so daß der bereits im Reisebüro service-künstlerisch<br />
initiierte Wechselbezug von Kunst und Praxis für den Kunden ein weiteres<br />
Mal aktuell wurde: Er entschied, ob ihm eine Reise oder eine Kunstaktie<br />
lieber war. Vgl. „Flash Art“, Bd. 30, Nr. 197, Nov./Dez. 1997,<br />
S. 116 f.