PDF (2,8 MB) - kunst verlassen
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Anmerkungen Christian Janecke<br />
verändernden Formen der Wahrnehmung von Kunst. In bezug auf<br />
„Real<strong>kunst</strong>“: Wem erging es nicht schon so, daß er bestimmte<br />
Konstellationen oder Arrangements, sei es auf Baustellen, in der<br />
U-Bahn oder im Schaufenster, wahrgenommen und mit einem<br />
lächelnden und „<strong>kunst</strong>wissenden“ Blick quittiert hat? Je schneller<br />
sich das als ästhetisch legitim Anerkannte wandelt, die Lebenswelt<br />
aber durchdrungen bleibt von veralteten, aus der Mode<br />
gekommenen Tableaux, je leichter und häufiger macht auch<br />
der ästhetisch nur schwach Sensibilisierte diese Erfahrung. Ein<br />
guter Teil jüngster Kunst in Berlin bezieht in diesem Sinne aus<br />
der unfreiwilligen Komik der Inneneinrichtung leerstehender<br />
oder zweckentfremdeter Repräsentationsbauten der DDR jenes<br />
Moment des Fremdartigen, um dessentwillen ein Max Ernst der<br />
20er Jahre wesentlich weiter in der Zeit zurückgreifen mußte. Es<br />
erscheint nicht übertrieben, vorauszusetzen, daß eine mittlerweile<br />
sehr breitenwirksame Bereitschaft, das ungewollt Ästhetische<br />
am Kontingenten wahr- und hinzunehmen, vorliegt. 33 Und<br />
hier steckt ein weiterer Wink zur Service-Kunst, die ja – z. B.<br />
im Falle eines „Reisebüros“ – am ästhetischen Mißlingen der<br />
für außerkünstlerische Reisebüros typischen Mallorca-Antizipation<br />
nebst obligatem Globus und Palmenidylle sich delektieren<br />
kann. Wobei zu fragen wäre, ob angesichts einerseits begrenzter<br />
Künstlerbudgets, andererseits ästhetisch aufholender oder<br />
gar vorbildlicher Standards ambitionierterer Geschäftsfilialen den<br />
Künstlern die Kopie veralteter Arrangements (im Sinne eines<br />
70er Revivals) nicht doch sehr entgegenkommt. Distinguiert sich<br />
München, 8. 6. – 30. 7. 1988, S. 11 – 18.<br />
33 Vgl. hierzu Thomas Wulffen: „Erklärungsmuster“, In: „Kunstforum“<br />
Bd. 91, S. 101 – 105, bes. den Abschnitt: „Internalisierung der Kunst“,<br />
(S. 101 f.). Wichtiger wäre eine hier nur anzudeutende Verbindung mit<br />
Camp, sofern sich dort erstmals Formen distinguierten Genusses des<br />
Banalen durchgesetzt haben. Zu „Camp“ vgl. Susan Sontag: „Kunst und<br />
Anti<strong>kunst</strong>. 24 literarische Analysen“, Frankfurt a. M. 1982, sowie Philip<br />
Core: „Camp. The lie that tells the truth“, London 1984. Amüsante<br />
Perspektiven auf die Fortsetzung dieses Phänomens bzw. auch seine<br />
völlige Trivialisierung in der gegenwärtigen Spaßkultur vgl. Jürgen<br />
Bräunlein: „Schön blöd. Vom unheimlichen Medienerfolg der Untalentierten“,<br />
Berlin 1999.