34 | ÜberschriftAusgabe 1 | 2013Juden <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>aGeme<strong>in</strong>sam mit Albrecht habe ich 1993 die Expo-Exodus `93 organisiert.Er hat e<strong>in</strong> Herz für Ch<strong>in</strong>a bekommen und ist jetzt der Beauftragte desDeutschen CVJM für Ch<strong>in</strong>a. Über se<strong>in</strong>e Reisen und se<strong>in</strong>en Dienst hat erzwei Bücher veröffentlicht, die über den „Fischladen“ beziehbar s<strong>in</strong>d! (WG)von Albrecht KaulDie <strong>in</strong>ternationale Konferenz beschließt ihreTagung <strong>in</strong> der nordch<strong>in</strong>esischen MetropoleHarb<strong>in</strong> mit e<strong>in</strong>em Gottesdienst. Man begrüßtmich als deutschen Teilnehmer besondersund führt mich an e<strong>in</strong>e Gedenktafel an derroten Backste<strong>in</strong>kirche. Dort steht <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>esischund Englisch, dass dies die orig<strong>in</strong>aldeutsch-lutherische Kirche <strong>in</strong> Harb<strong>in</strong> ist, die1914 erbaut wurde. Heute wird sie von deroffiziellen Drei-Selbst-Kirche Ch<strong>in</strong>as genutztund man muss vier Mal Gottesdienst anbieten,um die Christen und die „Interessierten“unterzubr<strong>in</strong>gen.Jüdische Schule mit Synagoge Harb<strong>in</strong>die Synagoge Harb<strong>in</strong> (Museum)Jüdische Schule mit Synagoge Harb<strong>in</strong>Bei me<strong>in</strong>em anschließenden Stadtbummelentdecke ich viele historische Gebäude <strong>in</strong>der modernen, wenn auch etwas russischanmutenden Stadt. Ich staune nicht schlecht,als ich neben großen Russisch-OrthodoxenKirchen auch zwei Synagogen, e<strong>in</strong>e JüdischeSchule und e<strong>in</strong>e Jüdische Armenküche entdecke,die alle <strong>in</strong> den 20er Jahren erbautworden s<strong>in</strong>d. Das macht mich neugierig zuerkunden, welche Geschichte die Juden <strong>in</strong>Ch<strong>in</strong>a haben.In Harb<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d es meist russische Juden gewesen,die wegen wirtschaftlicher Notlage undnach der Oktoberrevolution Russland verlassenhaben. Sie fanden <strong>in</strong> Nordch<strong>in</strong>a Freiheitzu siedeln, Arbeit und e<strong>in</strong>e Bleibe. 15.000Juden s<strong>in</strong>d es gewesen, die Harb<strong>in</strong> zu dieserZeit auch den Be<strong>in</strong>amen „<strong>Jerusalem</strong> des Ostens“e<strong>in</strong>brachten. Die meisten Juden s<strong>in</strong>daber weiter gen Süden gezogen, nicht wenigeauch nach Paläst<strong>in</strong>a e<strong>in</strong>gewandert – unteranderem die Eltern von Ehud Olmert.Die Anfänge jüdischer Siedlungen liegenschon lange zurück. Schriftstücke von derSeidenstraße aus dem 8. Jahrhundert berichten,dass jüdische Händler und Astrologenbis an den Kaiserhof gekommen s<strong>in</strong>d. AuchMarco Polo berichtet von assimilierten Juden<strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a. In Kaifeng (Prov<strong>in</strong>z Henan am GelbenFluss) sammelten sich die Juden undbauten 1136 die erste Synagoge <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a,die bis 1849 genutzt wurde. Danach ist siezerfallen. Die Juden <strong>in</strong> Kaifeng haben sichsehr angepasst, heirateten Ch<strong>in</strong>es<strong>in</strong>nen undmit der Zeit g<strong>in</strong>g auch ihr jüdisches Aussehenverloren.E<strong>in</strong>en großen Zustrom von Juden gab es nachden Opiumkriegen (1860) und der von Englanderzwungenen Öffnung des Kaiserreichesder Mitte. Die sogenannten Bagdad-Judenkamen als Kaufleute. Sie handelten mit Gewürzen,Opium, Immobilien. Später arbeitetensie als Banker und haben e<strong>in</strong>ige dermarkanten Gebäude an der berühmten Uferpromenade„Bund“ <strong>in</strong> Shanghai gebaut unddazu beigetragen, dass diese Stadt an derMündung des Yangtze e<strong>in</strong> wichtiges HandelszentrumAsiens wurde. Anders als die Kaifeng-Judenassimilierten sich die Bagdad-Judennicht und bildeten eigene Kommunen.Beth Aharan baute nach e<strong>in</strong>em Traum e<strong>in</strong>eSynagoge mit 400 Plätzen, obwohl es <strong>in</strong> demStadtteil noch nicht e<strong>in</strong>mal zehn jüdischeMänner für e<strong>in</strong>en Gottesdienst gab. Dazue<strong>in</strong>e Großküche und Speisesäle. Als ab 1940die Flüchtl<strong>in</strong>ge aus Deutschland kamen, hattensie Synagoge und Versammlungsräume!30.000 Juden kamen aus den europäischenLändern nach Shanghai, weil Ch<strong>in</strong>a das e<strong>in</strong>zige(!)Land der Welt war, was Juden ohn<strong>eV</strong>isa betreten durften. Manche Prom<strong>in</strong>entewaren dabei. Es entstanden jüdische Stadtviertel<strong>in</strong> Shanghai, von denen heute nochReste zu entdecken s<strong>in</strong>d. Für viele Juden waraber Shanghai nur e<strong>in</strong>e Durchgangsstationnach Paläst<strong>in</strong>a oder <strong>in</strong> die USA. Nach derjapanischen Besetzung Ch<strong>in</strong>as verschlechtertesich ihre Situation. Deutschland wolltedie(verbündeten) Japaner dazu gew<strong>in</strong>nen, auch<strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a Konzentrationslager zu bauen. Esgab dagegen den Plan, die Juden auf Schiffezu br<strong>in</strong>gen und diese im Meer zu versenken.Ho Teng Shan – der Sch<strong>in</strong>dler Ch<strong>in</strong>as – rettetetausenden von Juden das Leben.Nach der Gründung der Volksrepublik habendie meisten Juden Ch<strong>in</strong>a wieder verlassen.Ch<strong>in</strong>a hat die Gründung des Staates Israelunterstützt. Chaim Weizmann besuchte1992 und später auch Yitzhak Rab<strong>in</strong> daskommunistische Ch<strong>in</strong>a, um den Dank für dieUnterstützung <strong>in</strong> schwerer Zeit auszudrücken.Heute leben nur noch wenige Juden <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a– ca. 1.000 <strong>in</strong> Shanghai, 750 <strong>in</strong> Kaifeng.Die jüdische Geme<strong>in</strong>de Shanghai leitet e<strong>in</strong>Amerikaner. Sie hat die e<strong>in</strong>zige gottesdienstlichgenutzte Synagoge Ch<strong>in</strong>as. Die jüdischenGebäude und Synagogen (wie <strong>in</strong> Harb<strong>in</strong>)werden zum Teil erhalten und manche alsMuseum genutzt. Der Pionierpalast vonShanghai ist das ehemalige Prachtgebäudee<strong>in</strong>es jüdischen Unternehmers. BekanntesteJuden <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a s<strong>in</strong>d die deutschsprachige,aus dem österreichisch-ungarischen Czernowitzstammende Schriftsteller<strong>in</strong> Klara Blum(gest. 1971 <strong>in</strong> Guangzhou) und der aus Warschauemigrierte Journalist und Autor, IsraelEbste<strong>in</strong> (gest. 2005 <strong>in</strong> Pek<strong>in</strong>g). Leider hatteich bisher selber noch ke<strong>in</strong>en Kontakt mitJuden <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a.
Ausgabe 1 | 2013Überschrift | 35Über Kritik, Moral und Manipulationvon Yakov Hadas-Handelsman,Botschafter des Staates Israel <strong>in</strong> derBundesrepublik DeutschlandMoralpredigten und e<strong>in</strong> systematischesIgnorieren der Tatsachen s<strong>in</strong>d seit langemdie übliche Ausdrucksform e<strong>in</strong>iger Kritikerdes Staates Israel geworden.wichtige Grundlagen der jüdischen Kultur.Es gibt ke<strong>in</strong> anderes Volk, das seit Tausendenvon Jahren mit e<strong>in</strong>er so reichen demokratischenund pluralistischen Kultur gesegnetist. Diese Kultur wurde auch vom modernenStaat Israel adaptiert und wird dort Tag fürTag praktiziert. Der Schutz des Schwachen,der M<strong>in</strong>derheit, ist die Basis für das israelischeRecht und die israelische Gesellschaft.Die israelischen Medien, Nicht-Regierungsorganisationenund die politische Oppositionfordern die Regierung jeden Tag aufs Neuedurch von ihnen vorgetragene Kritik heraus.Der Staat Israel kann stolz auf e<strong>in</strong>en OberstenGerichtshof se<strong>in</strong>, der sich nicht scheut,<strong>in</strong> politischen, gesellschaftlichen und sogarauch sicherheitsrelevanten Fragen gegen dieRegierungsme<strong>in</strong>ung zu entscheiden. E<strong>in</strong>treten – unter anderem durch Abgeordnete,die sogar die Symbole des Staates <strong>in</strong> Fragestellen. Doch die israelische Demokratie iststabil und stark genug, um auch dies auszuhalten.Die israelischen Araber leben im jüdischenStaat und genießen e<strong>in</strong>e Lebensqualität, vondenen die übrigen Bewohner des NahenOstens nur träumen können. Im Nahen Ostenherrschten Freiheit und Demokratie,wenn alle se<strong>in</strong>e Bürger über ähnliche Rechteund Rechtssicherheit verfügen würden, wiedie arabischen israelischen Staatsbürger.All dies jedoch hat e<strong>in</strong> Teil der Kritiker desStaates Israel nicht vor Augen. (Selbsternannte)Experten für den Nahen Osten wiederholenwieder und wieder ihre „gelehrte“ Kritikan Israel und verschließen dabei die AugenLassen Sie mich zunächst etwas Selbstverständlichessagen: Kritik gegenüber Israel istlegitim und mitunter auch berechtigt. Siewird mündlich und schriftlich formuliert, <strong>in</strong>Israel und im Ausland – auch <strong>in</strong> Deutschland.Echte Kritik kennt nur e<strong>in</strong>en Maßstab, derfür alle Länder gilt – seien es westlicheStaaten oder Entwicklungsländer. E<strong>in</strong>e solcheKritik leistet e<strong>in</strong>en Beitrag zum öffentlichenDiskurs und korrigiert Fehlentwicklungen,die es <strong>in</strong> Israel genauso gibt wie <strong>in</strong> jeder anderenDemokratie auch.Die israelischen Araber s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der Knessetvertreten – unter anderem durch Abgeordnete,die sogar die Symbole des Staates <strong>in</strong>Frage stellen. Doch die israelische Demokratieist stabil und stark genug, um auchdies auszuhalten.Doch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Fällen wird die Kritik vonaußen zu e<strong>in</strong>er geradezu obsessiven Beschäftigungmit Israel und ignoriert dabei alleStandards, die sonst <strong>in</strong> dem Land üblich s<strong>in</strong>d,<strong>in</strong> dem sie geäußert wird. Immer wiedersetzen die Kritiker dabei auf e<strong>in</strong> Ignorierendes Kontexts, die Manipulation von Tatsachenund Verallgeme<strong>in</strong>erungen. Daher glaubeich, dass manchmal h<strong>in</strong>ter der verme<strong>in</strong>tlichunschuldigen Frage „Darf man Israelkritisieren?“ auch Antisemitismus steckt, dersich als Kampf für die Me<strong>in</strong>ungsfreiheit ausgibt,tatsächlich jedoch nur Kritik um derKritik willen übt und das legitime Recht desjüdischen Volkes auf se<strong>in</strong>e Selbstbestimmung<strong>in</strong> Frage stellt. E<strong>in</strong>e der Säulen des Judentumsist die Polemik. Fragen zu stellen, Kritik zuüben, etwas <strong>in</strong> Zweifel zu ziehen und Normenund Regeln <strong>in</strong> Frage zu stellen, s<strong>in</strong>dsolches Oberstes Gericht, dessen Türen auchNicht-Staatsbürgern (auch Paläst<strong>in</strong>ensern)offenstehen, gibt es <strong>in</strong> nur wenigen westlichenStaaten.Trotz se<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>zigartigen geostrategischenLage bemüht sich der Staat Israel, e<strong>in</strong>e religiöseund nationale M<strong>in</strong>derheit zu <strong>in</strong>tegrieren– sicherlich tut er das nicht immer so konsequentwie gewünscht, sicherlich gibt es hiernoch Raum für Verbesserungen; doch anderthalbMillionen arabischer israelischerStaatsbürger genießen Religionsfreiheit,vollkommen gleiche Rechte und s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> <strong>in</strong>tegralerBestandteil des Lebens <strong>in</strong> Israel.Unter ihnen s<strong>in</strong>d erfolgreiche Geschäftsleute,führende Medienvertreter, Rechtsanwält<strong>in</strong>nenund Richter, Ärzt<strong>in</strong>nen und hochrangigeOffiziere <strong>in</strong> Armee und Polizei. Dieisraelischen Araber s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der Knesset ver-vor den Ereignissen und Prozessen, die sich<strong>in</strong> der übrigen Region ereignen – und nichtselten auch <strong>in</strong> ihren eigenen Ländern. Wannhaben sie das letzte Mal über die Lage derChristen, die Stellung der Frau oder dieRechte von Homosexuellen <strong>in</strong> der arabischenWelt nachgedacht? Wann haben sie das letzteMal ihrem Abscheu über den hasserfülltenAntisemitismus Ausdruck verliehen, wie ihnFührer der arabischen Welt <strong>in</strong> den arabischenMedien verbreiten? Oder ist es vielleicht so,dass eben diese Kritiker <strong>in</strong> Bezug auf diearabische Welt e<strong>in</strong>fach zu westlich arrogants<strong>in</strong>d, und deshalb den arabischen Regimenund Gesellschaften aus welchen Gründenauch immer alles nachzusehen bereit s<strong>in</strong>d…?Daher: Ja zu Kritik, aber ne<strong>in</strong> zu Moralpredigtenvon manipulativen Schreibern mitDoppelmoral!