Jerusalem in Weiß - Sächsische Israelfreunde eV
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Ausgabe 1 | 2013Segensreiches | 45Professor Schmuel Nissan:Mit Leib und Seele Israeli und Chirurgvon Johannes Gerloff, <strong>Jerusalem</strong>Das Leben des Chirurgieprofessors SchmuelNissan ist eng verwoben mit der Entstehungsgeschichtedes modernen jüdischenStaates. Wenn der großgewachsene, hagereMann mit dem zerfurchten Gesicht <strong>in</strong> dieEr<strong>in</strong>nerungen se<strong>in</strong>es Lebens vers<strong>in</strong>kt, tauchenunmittelbar die Namen der GroßenIsraels im 20. Jahrhundert auf: Josef Trumpeldor,Orde W<strong>in</strong>gate, David Ben Gurion, JigalJad<strong>in</strong>, Amos Chorev, Jitzchak Ben Zvi, MoscheDajan, Salman Schasar, Jitzchak Rab<strong>in</strong>,Ariel Scharon, Teddy Kollek – alle nicht etwaals verschwommene Gestalten aus verstaubtenGeschichtsbüchern, sondern alsMitschüler, Zimmergenossen, Kampfgefährten,Studienfreunde, Verwandte, Nachbarnoder Freunde des Hauses. Mit e<strong>in</strong>em Ruckreißt sich der Mittachziger aus dem zerschlissenenSessel <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em gemütlich e<strong>in</strong>gerichtetenHaus <strong>in</strong> Motza vorden Toren <strong>Jerusalem</strong>s,geht auf die Ecke <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em kle<strong>in</strong>enArbeitszimmer zu und zeigt auf e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>gerahmtesDokument, die Unabhängigkeitsurkundedes Staates Israel: „Da hat me<strong>in</strong> Vaterunterschrieben!“ – Avraham Katznelson –„Und wie ist er nach Tel Aviv gekommen?– Ben Gurion hat ihm e<strong>in</strong>e Piper geschickt“,um ihn und Jitzchak Ben Zvi aus dem umkämpftenund belagerten <strong>Jerusalem</strong> zur Unabhängigkeitserklärungam 14. Mai 1948nach Tel Aviv zu holen.Professor Schmuel NissanDie Eltern von Professor Nissan waren beideÄrzte, hatten beide <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> studiert. Alser<strong>in</strong>nere er sich aus eigener Anschauungberichtet er: „Ich b<strong>in</strong> hierher gekommen, alsme<strong>in</strong>e Mutter im sechsten Monat mit mirschwanger war. Sie hat me<strong>in</strong>en Vater verlassen,weil sie me<strong>in</strong>te: Me<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d soll im LandIsrael geboren werden!“ Wenige Monatespäter wurde er als Schmuel Katznelson <strong>in</strong>Jaffa geboren, das damals als „Tor zum HeiligenLand“ galt. „Ich er<strong>in</strong>nere mich nochgut an Jaffa, als die Schiffe dort noch nichtanlegen konnten. Kle<strong>in</strong>e Boote mit schreiendenArabern fuhren den großen Überseedampfernentgegen, um Menschen undWaren an Land zu br<strong>in</strong>gen.“ Die Bilder, dieder alte Professor mit Worten zeichnet, verschwimmenund stehen doch irgendwie klarvor Augen. Bis <strong>in</strong>s hohe Alter stellt er sichgerne auf Arabisch vor: „Ana Jaffawi“– „Ich stamme aus Jaffa!“Sobald Vater Katznelson se<strong>in</strong>erFamilie aus Europa nach Paläst<strong>in</strong>anachgereist war, siedelte die jungeFamilie nach <strong>Jerusalem</strong> über, woSchmuel <strong>in</strong> den Stadtteilen Romemaund Rechavia aufwächst. Erer<strong>in</strong>nert sich nicht nur an dasErdbeben von 1927, sondern auch – heute<strong>in</strong> der Großstadt <strong>Jerusalem</strong> kaum mehr vorstellbar– wie Bedu<strong>in</strong>en zwischen den Häusernherumzogen und ihre Ziegen die Rosen<strong>in</strong> den Gärten abfraßen. Oder auch wie OrdeW<strong>in</strong>gate, der legendäre britische Offizier, derso maßgeblich am Aufbau jüdischer Verteidigungsstreitkräfteim britischen Mandat Paläst<strong>in</strong>abeteiligt war, „zu uns nach Hausekam“. „Er war sehr bescheiden, scheu, zurückhaltend“,er<strong>in</strong>nert sich Nissan an dengläubigen Christen, der „immer hier die Pistoleund hier die Bibel trug“ und sich nichtselten auf Hebräisch verabschiedete: „Ichhabe e<strong>in</strong>e Bibelstunde, ich muss gehen.“ Vonden jüdischen Zionisten wurde Orde CharlesW<strong>in</strong>gate schlicht „HaYedid“, „der Freund“,genannt. Der Spross e<strong>in</strong>er alten schottischenFamilie, die weitreichende Verb<strong>in</strong>dungenhatte, und dessen Eltern zur Bewegung derPlymouth-Brüder gehörten, betrachtete es alsreligiöse Pflicht, dem jüdischen Volk bei derRückkehr <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Land und dem Aufbau e<strong>in</strong>esStaates aktiv zu helfen.Besonders er<strong>in</strong>nert sich Schmuel Nissan anOrde W<strong>in</strong>gates Frau Lorna: „Die war sehrOrde W<strong>in</strong>gateschön!“ Sie lebte noch lange, nachdem ihrMann im März 1944 bei e<strong>in</strong>em Flugzeugabsturz<strong>in</strong> Indien ums Leben gekommen war,<strong>in</strong> Paläst<strong>in</strong>a. Als Ende der 1940er Jahre Galiläavon der Außenwelt abgeschnitten war,bat sie David Ben Gurion um e<strong>in</strong> Flugzeugund warf den belagerten jüdischen Soldatenaus der Luft Bibeln ab, um sie zu ermutigen.Durch se<strong>in</strong>en Klassenkameraden Jigal Jad<strong>in</strong>,der 1949 zum Generalstabschef der IsraelischenArmee wurde, lernt Schmuel Nissannicht nur „den Umgang mit e<strong>in</strong>em polnischenMasch<strong>in</strong>engewehr“, sondern auchviel über Archäologie. Anfang der1960er-Jahre begleitet er ihn auf diedamals noch schwer zugänglicheFestung Massada zu Ausgrabungen<strong>in</strong> die Wüste Juda. „In der Synagogehaben wir Schriftrollen entdeckt.Mit großen Augen sah ich, wie e<strong>in</strong>Neue<strong>in</strong>wanderer aus dem Jemen,e<strong>in</strong>e der uralten Buchrollen vorlas“– es war der Psalm 124: „Wäre derHerr nicht bei uns – so sage Israel –, wäreder Herr nicht bei uns, wenn Menschenwider uns aufstehen, so verschlängen sie unslebendig…“ – „Der kann das lesen?!, habeMit großen Augensah ich, wie e<strong>in</strong>Neue<strong>in</strong>wandereraus dem Jemen,e<strong>in</strong>e der uraltenBuchrollen vorlas– es war derPsalm 124ich mich gewundert.“ In derselben Zeitwurden dort <strong>in</strong> den Ru<strong>in</strong>en des legendärenjüdischen Widerstands gegen die Römerauch die Kapitel 36 und 37 aus dem Buch