44 | ÜberschriftAusgabe 1 | 2013Der Kaiser kommtHebräisch und Arabisch gehalten, wie imZitadellen-Museum üblich. „Deutsch sprichthier doch kaum jemand“, sagte Peled zu derFrage, wieso denn bei e<strong>in</strong>er derart „deutschen“Ausstellung nicht auch deutsche Erklärungenh<strong>in</strong>zugefügt wurden.Text und Fotos vonUlrich W. Sahm, <strong>Jerusalem</strong>„Der Kaiser kommt“ heißt e<strong>in</strong>e neue Ausstellung<strong>in</strong> der <strong>Jerusalem</strong>er Zitadelle am Jaffator,wo schon König Herodes, die Moslems,Kreuzfahrer und die Osmanen ihre Soldatenstationiert haben, um die Heilige Stadt zukontrollieren. In der Nähe hat auch PontiusPilatus Hof gehalten. Schilder mit e<strong>in</strong>emAbbild des Kaisers Wilhelm II. hoch zu Ross<strong>in</strong> Kreuzfahreruniform weisen zu e<strong>in</strong>emGewölbe aus der Zeit der Kreuzfahrer, dessenDecke mit schwarz-weiß-roten Flaggen geschmücktist, Deutschlands Farben bis 1945.Der Besuch des deutschen Kaisers im HeiligenLand 1898 war e<strong>in</strong> historisches Ereignismit Nachwirkungen bis heute, sagt die Kurator<strong>in</strong>Ruth Peled. „Deshalb haben wir nichtauf e<strong>in</strong> rundes Datum gewartet, sondernanderthalb Jahre lang die Schau vorbereitet,als wir uns der Bedeutung bewusst gewordenwaren.“ Zuvor hatte die PR-Verantwortlichedes Zitadellen-Museums, Carol<strong>in</strong>e Shapiro,auf den von Herodes errichteten Phasael-Turm geladen, dem höchsten Punkt der Altstadt<strong>Jerusalem</strong>s. Vor hier aus s<strong>in</strong>d die beidenwichtigsten Wahrzeichen der Stadt zu sehen,die graue Kuppel über dem Grab Jesu unddes vergoldeten Felsendoms. Doch dazwischenstehen zahlreiche deutsche Wahrzeichen,die Kaiser Wilhelm II. h<strong>in</strong>terlassen hat:das gewaltige Augusta Victoria Hospiz mitsamtKirche auf dem Ölberg, der spitze Turmder lutherischen Erlöserkirche neben derGrabeskirche und die massive Dormitio-Abteiauf dem Zionsberg. Ihr Glockenturm wirktwie e<strong>in</strong> Portraitdes Kaisers mit Spitzhelm,der bei nächtlicherBeleuchtung grimmig aufWestjerusalem blickt. Derschwarz-weiß-rote Deckenschmuckund e<strong>in</strong> riesiges preußisches Wappen s<strong>in</strong>ddie e<strong>in</strong>zigen „wirklichen“ Ausstellungsstücke.Denn der Besucher nimmt virtuellam Kaiserbesuch mit historischen Fotos unddeutscher Marschmusik teil. Die altenSchwarzweiß-Bilder von der Landung perSchiff <strong>in</strong> Haifa und vom feierlichen E<strong>in</strong>zug <strong>in</strong><strong>Jerusalem</strong> mit altmodisch gekleideten Menschender Epoche werden elektronisch aufBildschirme an den Wänden geworfen. „Wirhatten das Konzept, den Kaiserbesuch anhandder damaligen Medien zu beschreiben“,erklärt Peled. Tatsächlich s<strong>in</strong>d die Bilder altePressefotos. Auf e<strong>in</strong>e Litfaßsäule wurdenzudem Kopien alter Zeitungsausschnitte aufHebräisch, Französisch und Englisch geklebt,wobei die britische und die französischePresse den deutschen Kaiser mit gehässigenKarikaturen verhöhnte, während die Juden<strong>in</strong> den alten hebräischen Zeitungen demKaiser zujubelten. Die Beschriftungen <strong>in</strong> derAusstellung s<strong>in</strong>d ausschließlich auf Englisch,Der Besuch des deutschen Kaisers war nichtnur Symbol e<strong>in</strong>es kaum bekannten deutschenImperialismus. Für die Staatsvisite musstenKutschen und Pferde aus Deutschland importiertwerden. Die Kaiserliche Delegationcampierte <strong>in</strong> <strong>Jerusalem</strong> <strong>in</strong> 75 Zelten. ZuEhren des Kaisers wurden mehrere Siegestoreerrichtet. Der türkische Sultan ließ e<strong>in</strong>eErdrampe am Jaffator räumen, damit derKaiser hoch zu Ross e<strong>in</strong>reiten könne. Unddamit der aufgewirbelte Staub auf der Jaffa-Street nicht <strong>in</strong> den Augen der Besucherbrenne, wurde aus Jaffo neuer Straßenbelagnach <strong>Jerusalem</strong> gebracht.Bei dem Besuch kam es auch zu e<strong>in</strong>er historischenBegegnung des Gründers des Zionismus,Theodor Herzl, mit dem Kaiser. Dochder beauftragte Fotograf, David Wolfson, warso aufgeregt, dass aus der Dokumentationnichts wurde. Ke<strong>in</strong> Problem. Er produziertee<strong>in</strong>e Fälschung, <strong>in</strong>dem er Bilder des Kaisersund Herzls mit dem Tropenhelm <strong>in</strong> der Handper „Photoshop“ übere<strong>in</strong>ander legte. Dieseklassische Fälschung ist seitdem <strong>in</strong> jedemisraelischen Geschichtsbuch wiedergegeben.Anstelle e<strong>in</strong>es Katalogs erhalten die Besuchere<strong>in</strong>e „Zeitung“ mit historischen Bildern undAnekdoten. Die Ausstellung wird zudem begleitetmit geführten Rundgängen zu Stätten,die der Kaiser <strong>in</strong> <strong>Jerusalem</strong> besucht hat.„Der Kaiser kommt“ heißt e<strong>in</strong>e neue Ausstellung <strong>in</strong> der <strong>Jerusalem</strong>er Zitadelle am Jaffator
Ausgabe 1 | 2013Segensreiches | 45Professor Schmuel Nissan:Mit Leib und Seele Israeli und Chirurgvon Johannes Gerloff, <strong>Jerusalem</strong>Das Leben des Chirurgieprofessors SchmuelNissan ist eng verwoben mit der Entstehungsgeschichtedes modernen jüdischenStaates. Wenn der großgewachsene, hagereMann mit dem zerfurchten Gesicht <strong>in</strong> dieEr<strong>in</strong>nerungen se<strong>in</strong>es Lebens vers<strong>in</strong>kt, tauchenunmittelbar die Namen der GroßenIsraels im 20. Jahrhundert auf: Josef Trumpeldor,Orde W<strong>in</strong>gate, David Ben Gurion, JigalJad<strong>in</strong>, Amos Chorev, Jitzchak Ben Zvi, MoscheDajan, Salman Schasar, Jitzchak Rab<strong>in</strong>,Ariel Scharon, Teddy Kollek – alle nicht etwaals verschwommene Gestalten aus verstaubtenGeschichtsbüchern, sondern alsMitschüler, Zimmergenossen, Kampfgefährten,Studienfreunde, Verwandte, Nachbarnoder Freunde des Hauses. Mit e<strong>in</strong>em Ruckreißt sich der Mittachziger aus dem zerschlissenenSessel <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em gemütlich e<strong>in</strong>gerichtetenHaus <strong>in</strong> Motza vorden Toren <strong>Jerusalem</strong>s,geht auf die Ecke <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em kle<strong>in</strong>enArbeitszimmer zu und zeigt auf e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>gerahmtesDokument, die Unabhängigkeitsurkundedes Staates Israel: „Da hat me<strong>in</strong> Vaterunterschrieben!“ – Avraham Katznelson –„Und wie ist er nach Tel Aviv gekommen?– Ben Gurion hat ihm e<strong>in</strong>e Piper geschickt“,um ihn und Jitzchak Ben Zvi aus dem umkämpftenund belagerten <strong>Jerusalem</strong> zur Unabhängigkeitserklärungam 14. Mai 1948nach Tel Aviv zu holen.Professor Schmuel NissanDie Eltern von Professor Nissan waren beideÄrzte, hatten beide <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> studiert. Alser<strong>in</strong>nere er sich aus eigener Anschauungberichtet er: „Ich b<strong>in</strong> hierher gekommen, alsme<strong>in</strong>e Mutter im sechsten Monat mit mirschwanger war. Sie hat me<strong>in</strong>en Vater verlassen,weil sie me<strong>in</strong>te: Me<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d soll im LandIsrael geboren werden!“ Wenige Monatespäter wurde er als Schmuel Katznelson <strong>in</strong>Jaffa geboren, das damals als „Tor zum HeiligenLand“ galt. „Ich er<strong>in</strong>nere mich nochgut an Jaffa, als die Schiffe dort noch nichtanlegen konnten. Kle<strong>in</strong>e Boote mit schreiendenArabern fuhren den großen Überseedampfernentgegen, um Menschen undWaren an Land zu br<strong>in</strong>gen.“ Die Bilder, dieder alte Professor mit Worten zeichnet, verschwimmenund stehen doch irgendwie klarvor Augen. Bis <strong>in</strong>s hohe Alter stellt er sichgerne auf Arabisch vor: „Ana Jaffawi“– „Ich stamme aus Jaffa!“Sobald Vater Katznelson se<strong>in</strong>erFamilie aus Europa nach Paläst<strong>in</strong>anachgereist war, siedelte die jungeFamilie nach <strong>Jerusalem</strong> über, woSchmuel <strong>in</strong> den Stadtteilen Romemaund Rechavia aufwächst. Erer<strong>in</strong>nert sich nicht nur an dasErdbeben von 1927, sondern auch – heute<strong>in</strong> der Großstadt <strong>Jerusalem</strong> kaum mehr vorstellbar– wie Bedu<strong>in</strong>en zwischen den Häusernherumzogen und ihre Ziegen die Rosen<strong>in</strong> den Gärten abfraßen. Oder auch wie OrdeW<strong>in</strong>gate, der legendäre britische Offizier, derso maßgeblich am Aufbau jüdischer Verteidigungsstreitkräfteim britischen Mandat Paläst<strong>in</strong>abeteiligt war, „zu uns nach Hausekam“. „Er war sehr bescheiden, scheu, zurückhaltend“,er<strong>in</strong>nert sich Nissan an dengläubigen Christen, der „immer hier die Pistoleund hier die Bibel trug“ und sich nichtselten auf Hebräisch verabschiedete: „Ichhabe e<strong>in</strong>e Bibelstunde, ich muss gehen.“ Vonden jüdischen Zionisten wurde Orde CharlesW<strong>in</strong>gate schlicht „HaYedid“, „der Freund“,genannt. Der Spross e<strong>in</strong>er alten schottischenFamilie, die weitreichende Verb<strong>in</strong>dungenhatte, und dessen Eltern zur Bewegung derPlymouth-Brüder gehörten, betrachtete es alsreligiöse Pflicht, dem jüdischen Volk bei derRückkehr <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Land und dem Aufbau e<strong>in</strong>esStaates aktiv zu helfen.Besonders er<strong>in</strong>nert sich Schmuel Nissan anOrde W<strong>in</strong>gates Frau Lorna: „Die war sehrOrde W<strong>in</strong>gateschön!“ Sie lebte noch lange, nachdem ihrMann im März 1944 bei e<strong>in</strong>em Flugzeugabsturz<strong>in</strong> Indien ums Leben gekommen war,<strong>in</strong> Paläst<strong>in</strong>a. Als Ende der 1940er Jahre Galiläavon der Außenwelt abgeschnitten war,bat sie David Ben Gurion um e<strong>in</strong> Flugzeugund warf den belagerten jüdischen Soldatenaus der Luft Bibeln ab, um sie zu ermutigen.Durch se<strong>in</strong>en Klassenkameraden Jigal Jad<strong>in</strong>,der 1949 zum Generalstabschef der IsraelischenArmee wurde, lernt Schmuel Nissannicht nur „den Umgang mit e<strong>in</strong>em polnischenMasch<strong>in</strong>engewehr“, sondern auchviel über Archäologie. Anfang der1960er-Jahre begleitet er ihn auf diedamals noch schwer zugänglicheFestung Massada zu Ausgrabungen<strong>in</strong> die Wüste Juda. „In der Synagogehaben wir Schriftrollen entdeckt.Mit großen Augen sah ich, wie e<strong>in</strong>Neue<strong>in</strong>wanderer aus dem Jemen,e<strong>in</strong>e der uralten Buchrollen vorlas“– es war der Psalm 124: „Wäre derHerr nicht bei uns – so sage Israel –, wäreder Herr nicht bei uns, wenn Menschenwider uns aufstehen, so verschlängen sie unslebendig…“ – „Der kann das lesen?!, habeMit großen Augensah ich, wie e<strong>in</strong>Neue<strong>in</strong>wandereraus dem Jemen,e<strong>in</strong>e der uraltenBuchrollen vorlas– es war derPsalm 124ich mich gewundert.“ In derselben Zeitwurden dort <strong>in</strong> den Ru<strong>in</strong>en des legendärenjüdischen Widerstands gegen die Römerauch die Kapitel 36 und 37 aus dem Buch