42 | ÜberschriftAusgabe 1 | 2013Zionismus – Kolonialismus, Rassismusoder legitime nationale Ambition?von Johannes Gerloff, <strong>Jerusalem</strong>„Unsere Hoffnung ist verloren, es ist aus mituns!“, war das Lebensgefühl der aus JudäaDeportierten vor mehr als zweie<strong>in</strong>halb Jahrtausenden.Dem setzte der Prophet Hesekiel(37,12-13) entgegen: „Ich will eure Gräberauftun und hole euch, me<strong>in</strong> Volk, aus eurenGräbern herauf und br<strong>in</strong>ge euch <strong>in</strong>s LandIsraels. Ihr sollt erfahren, dass ich der Herrb<strong>in</strong>, wenn ich eure Gräber öffne und euch,me<strong>in</strong> Volk, aus euren Gräbern heraufhole.“Im 19. Jahrhundert griff Naphtali Hertz Imber,selbst Bürger der Habsburger Monarchie,diese biblischen Formulierungen für e<strong>in</strong> Gedichtauf, das er „HaTikvah“, „Die Hoffnung“nannte:„Solange im Innern des Herzens noch jüdischesLeben rumort, auf die äußerstenEnden des Ostens, nach vorne gerichtet, e<strong>in</strong>Auge nach Zion blickt, ist unsere Hoffnungnicht verloren, die Hoffnung von zwei Jahrtausenden:E<strong>in</strong> freies Volk zu se<strong>in</strong>, <strong>in</strong> unseremeigenen Land, im Land Zion und <strong>in</strong><strong>Jerusalem</strong>!“ 2004 wurde „Die Hoffnung“ offiziellzur Nationalhymne des Staates Israelerklärt.Als gegen Ende des 19. Jahrhunderts diesejahrtausendealte jüdische Sehnsucht Gegenstandkonkreter politischer Überlegungenwurde, tauchte der Begriff „Zionismus“ auf,als Zusammenfassung der praktischen Bemühungendes jüdischen Volkes, nach zweitausendJahren Diaspora <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Heimat, nach„Zion“, zurückzukehren. Wer dem jüdischenVolk e<strong>in</strong> Recht auf Selbstbestimmung zugesteht,die Heimkehr des Volkes Israel <strong>in</strong> dasLand zwischen Mittelmeer und Jordan fürrechtens hält, sie grundsätzlich bejaht undunterstützt, ist „Zionist“ – sei er nun Jude,Christ, Muslim, H<strong>in</strong>du oder auch Atheist.Von se<strong>in</strong>en Gegnern wird dem Zionismuswird vorgeworfen, Landraub, Gewalt und di<strong>eV</strong>ertreibung von Paläst<strong>in</strong>ensern zu rechtfertigen.Er wird als Kolonialismus kritisiert.1975 verurteilte die UNO-GeneralversammlungZionismus als Rassismus. 1981 riefen53 Länder der Afrikanischen Union <strong>in</strong> derPräambel ihrer Charta für Menschenrechtedazu auf, „Kolonialismus, Neo-Kolonialismus,Apartheid und Zionismus zu elim<strong>in</strong>ieren.“Abgesehen von e<strong>in</strong>igen ultra-orthodoxenStrömungen des Judentums und dem Großteilder islamischen Welt war es vor allemdie römisch-katholische Kirche, die e<strong>in</strong> theologischesProblem mit jüdischen Nationalbestrebungenhatte. Papst Pius X. ließ denVater des säkularen Zionismus, TheodorHerzl, wissen: „Die Juden haben unserenHerrn nicht anerkannt, deshalb können wirdas jüdische Volk nicht anerkennen.“ In derzweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vollzogder Vatikan e<strong>in</strong>e Kehrtwende <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>stellungzum jüdischen Volk und verurteiltealle christlichen Wurzeln des Antisemitismus.Dies bedeutet allerd<strong>in</strong>gs noch langeDabei waren unds<strong>in</strong>d es nicht nurChristen,die zionistischeMe<strong>in</strong>ungen äußern,sondern auchMuslime.ke<strong>in</strong>e Unterstützung e<strong>in</strong>er politisch realexistenten Heimkehr des jüdischen Volkes<strong>in</strong> se<strong>in</strong> Land Israel. „Auch wenn wir die Judennicht daran h<strong>in</strong>dern können, nach <strong>Jerusalem</strong>zu gehen“, hatte Papst Pius X. e<strong>in</strong>sTheodor Herzl erklärt, „wir werden dasniemals sanktionieren.“Doch der Zionismus hat nicht nur Antagonisten.Es gibt vielerlei Zionisten, ganz unterschiedlicherCouleur. Während sich Judenlautstark als Antizionisten outen, befürwortenunzählige Nichtjuden die Rückkehr desjüdischen Volkes <strong>in</strong> das Land Israel. Langebevor Juden aktiv e<strong>in</strong>e Staatsgründung vorbereiteten,waren die britische König<strong>in</strong> Victoria,Frankreichs Napoleon Bonaparte, dertschechoslowakische Präsident Tomáš GarrigueMasaryk und der Gründer des InternationalenRoten Kreuzes, Henry Dunant, defacto Zionisten.Dabei waren und s<strong>in</strong>d es nicht nur Christen,die zionistische Me<strong>in</strong>ungen äußern, sondernauch Muslime. Bereits im 19. Jahrhundertbefürwortete der Schah von Persien, Naseral-D<strong>in</strong> Schah Qadschar, dass Juden sich <strong>in</strong>Paläst<strong>in</strong>a niederließen. Später war es derpakistanisch-amerikanische Journalist undAutor Taschbih Sajjed. Unter den muslimischenZionisten dürfte heute der Direktordes Kultur<strong>in</strong>stituts der italienischen islamischenGeme<strong>in</strong>de und Imam von Rom,Scheich Abdul Hadi Palazzi, der bekanntestese<strong>in</strong>. Nicht selten zitieren Israel-freundlicheMuslime den Koran, wie etwa Sure 7,137:„Und wir [Allah] gaben dem Volk, das (vorher)[<strong>in</strong> Ägypten] unterdrückt war [den Israeliten],die östlichen und westlichen Gegendendes Landes [die Ostbank und dieWestbank des Jordan] (d.h. das ganze Land)zum Erbe.“Asaad Schukeiri, Vater des ersten PLO-Generalsekretärs,Achmed Schukeiri, widersprach<strong>in</strong> der Zeit des Britischen Mandats Paläst<strong>in</strong>aöffentlich dem paläst<strong>in</strong>ensischen Nationalistenund Hitler-Freund Großmufti MohammedAm<strong>in</strong> al-Husse<strong>in</strong>i, als dieser islamischeLehren nutzte, um den Zionismus anzugreifen.Emir Faisal, Sohn des Scherifen Husse<strong>in</strong>von Mekka, der sich nach dem Zerfall desOsmanischen Reichs als rechtmäßiger Herrscherder arabischen Völker verstand, sympathisierteoffen mit den Vorstellungen der Zionisten.Bis zum heutigen Tag habenjüdisch-nationale Ambitionen große Freunde,nicht nur unter Muslimen <strong>in</strong> Kurdistan undNordafrika, sondern auch <strong>in</strong> Indien. InternationaleUmfragen offenbaren Indien als proisraelischstesLand der Welt – während esgleichzeitig die größte muslimische Bevölkerungweltweit verzeichnet.© Christlicher Medienverbund KEPwww.israelnetz.com
Ausgabe 1 | 2013Überschrift | 43Das Vermächtnis des Jitzhak Rab<strong>in</strong>von Ulrich W. SahmDer israelische M<strong>in</strong>isterpräsident JitzhakRab<strong>in</strong> wurde am 4. November 1995 <strong>in</strong> TelAviv von dem rechtsradikalen Israeli JigalAmir ermordet. In diesem Jahr fiel die Gedenkfeierfür Rab<strong>in</strong> auf Samstagabend.20.000 Jugendliche kamen zum Rab<strong>in</strong>-Platz<strong>in</strong> Tel Aviv, um des „Mannes des Friedens“zu gedenken.E<strong>in</strong>en Monat vor se<strong>in</strong>em Tod hatte Rab<strong>in</strong>dem israelischen Parlament das dritte Interimsabkommenmit den Paläst<strong>in</strong>ensern vorgelegt.Es sollte se<strong>in</strong>e letzte politischeGrundsatzrede werden. Rab<strong>in</strong> warb um dieRatifizierung des „bedeutenden Durchbruchszur Lösung des paläst<strong>in</strong>ensisch-israelischenKonflikts.“ Jetzt, wo die Friedensverhandlungenschon seit drei Jahren ruhen, lohntsich e<strong>in</strong> Vergleich der Standpunkte Rab<strong>in</strong>sund der heutigen Regierung Israels sowie derRegierung Arafats und des Mahmoud Abbas.So werfen die Paläst<strong>in</strong>enser, und mit ihnendie Europäer, Netanjahu vor, wegen desAusbaus der Siedlungen e<strong>in</strong>e Zwei-Staaten-Lösung und damit e<strong>in</strong>en Frieden unmöglichzu machen.Rab<strong>in</strong> sagte: „Im Rahmen der permanentenLösung, streben wir e<strong>in</strong>en Staat Israel als jüdischenStaat an, <strong>in</strong> dem m<strong>in</strong>destens 80% derBürger Juden s<strong>in</strong>d.“ Netanjahu redet heutevom „Staat des jüdischen Volkes“. Rab<strong>in</strong> sahe<strong>in</strong>e „dauerhafte Lösung im Rahmen desStaates Israel“ voraus,wobei es neben Israel e<strong>in</strong>e „paläst<strong>in</strong>ensischeEntität“ geben werde. Diese Entität werde„weniger als e<strong>in</strong> Staat“ se<strong>in</strong>, sagte Rab<strong>in</strong>.Damit blieb Rab<strong>in</strong> weit h<strong>in</strong>ter Netanjahuzurück, der sich schon zu e<strong>in</strong>em „entmilitarisiertenpaläst<strong>in</strong>ensischen Staat“ bekannthat.„Wir werden nicht zu den L<strong>in</strong>ien des 4. Juni1967 zurückkehren.“ Hiermit schloss Rab<strong>in</strong>e<strong>in</strong>en vollständigen Rückzug aus den besetztenGebieten aus. Rab<strong>in</strong> skizzierte, dass <strong>Jerusalem</strong>komplett bei Israel bleiben, und dassim Osten das Jordantal die Grenze zu Jordanienbilden werde. Großsiedlungen wieMa‘aleh Adumim, Beitar und des <strong>in</strong>zwischenvon Ariel Scharon geräumten „Gusch Katif“im Gazastreifen würden laut Rab<strong>in</strong> <strong>in</strong> jedemFall bei Israel bleiben. Das Haupth<strong>in</strong>dernisfür die Umsetzung des Friedensprozesses mitden Paläst<strong>in</strong>ensern sei der „mörderischeTerrorismus der radikal-islamischen TerrororganisationenHamas und des IslamischenDschihad.“ Rab<strong>in</strong> zählte Übere<strong>in</strong>kommenmit Jassir Arafat zur Sicherheit an jüdischenHeiligen Stätten <strong>in</strong> den besetzten Gebieten.An allen Stätten <strong>in</strong> Nablus, Jericho, Hebronund am Grab Rachels bei Bethlehem kam esnach Rab<strong>in</strong>s Tod zu Vertragsverstößen undviel Blutvergießen.Rab<strong>in</strong> betonte die „Sicherheit der Siedlungen“und „die Fortsetzung des täglichenLebens“. Noch deutlicher fügte er h<strong>in</strong>zu:„Wir (Arafat und Rab<strong>in</strong>) kamen zur Vere<strong>in</strong>barung,ke<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zige Siedlung entwurzeln unddie Bautätigkeit für das natürliche Wachstum(<strong>in</strong> den Siedlungen) nicht zu beh<strong>in</strong>dern.“So stellt sich heraus, dass selbst Arafat damalsdie Siedlungen nicht für illegal hielt und ihremAusbau per Vertrag zugestimmt hat.Rab<strong>in</strong> erwähnte auch die heute so genannten„Siedler-Umgehungsstraßen“, denen Arafatzugestimmt habe.Selbst die heute sogenannte „See-Blockade“des Gazastreifens kommt bei Rab<strong>in</strong> schonvor: „Die Verantwortung für die äußere Sicherheitentlang der Grenzen mit Ägyptenund Jordanien sowie die Kontrolle des Luftraumsüber allen Gebieten und der maritimenZone vor dem Gazastreifen bleibt <strong>in</strong>unseren Händen.“Seit dieser Rede s<strong>in</strong>d 17 Jahre vergangen.Rab<strong>in</strong> wurde e<strong>in</strong>en Monat später ermordet.Es kam zur blutigen Al-Aksa-Intifada, demRückzug aus dem Gazastreifen und der Aufgabevon Siedlungen im Norden des Westjordanlandes.Gleichwohl stellt sich heraus,dass Rab<strong>in</strong> damals zu weniger Konzessionenan die Paläst<strong>in</strong>enser bereit war, als <strong>in</strong> se<strong>in</strong>erNachfolge die rechtsgerichteten M<strong>in</strong>isterpräsidentenAriel Scharon, Ehud Olmert odergar Benjam<strong>in</strong> Netanjahu!Yitzhak Rab<strong>in</strong> als M<strong>in</strong>isterpräsident.Yitzhak Rab<strong>in</strong> am E<strong>in</strong>gang der Altstadt von<strong>Jerusalem</strong> während des Sechs-Tage-Krieg,mit Moshe Dayan und Uzi Narkiss.Foto: Ilan Bruner, CCL 3.0