Bereich der Online–Medien eigene Gesetzmäßigkeiten herrschen, nimmt auch die Werbebranchezunehmend zur Kenntnis 1 .“Sinnvoll erscheinen nur jene Dienste, die sich in Aktualität und Inhalt von der gedruckten Zeitungunterscheiden”, bemerkt Daniel Brössler in seiner 1995 erschienenen Untersuchung Zeitung undMultimedia 2 . Legt man diese These zugrunde, bleibt nur eine vergleichsweise kleine Anzahl sinnvollerDienste übrig:•Bereitstellung des Angebots für Interessenten, die sich außerhalb des geographische Vertriebsgebietsbefinden, jedoch über Computer gut zu erreichen sind.•Zeitlich vorverlagerte Bereitstellung des Angebots.•Kostengünstigerer Zugang zum aktuellen Angebot.•Vertiefung des Angebots durch Querverbindungen zu internen und externen Ressourcen undzum eigenen Archiv (für Leser mit Bedarf an Hintergrundinformationen).•Individualisierung durch Bereitstellen thematisch beschränkter Informationspakete für Nutzermit besonderen Interessen.Die drei ersten Punkte sind ebenso naheliegend wie einfach zu realisieren. Durch die weltweiteVerbreitung des Internet kann der Zugriff auf ein Informationsangebot auch in abgelegenen Regionenerfolgen. Da die “elektronische Matrize” einer Zeitung oft mehrere Stunden vor der Auslieferungder gedruckten Ausgabe vorliegt, ist ein früherer Erscheinungszeitpunkt der elektronischenVersion möglich. Für diese fallen keine Druck– und Transportkosten an, so daß die Angebotspreisedeutlich gesenkt werden können. Ob ein solches Angebot zu Lasten der gedruckten Ausgabegeht und betriebswirtschaftlich vertretbar ist, wird jeder Verlag selbst kalkulieren.Die optionale Vertiefung des Angebots ist für jene Personen interessant, die zu bestimmtenSchwerpunkten einen genaueren Überblick benötigen (z.B. im Bereich der Ausbildung, Forschung,Lehre und Journalismus). Eine weitere Zielgruppe sind Einzelpersonen, die sich in ihrerFreizeit aus Interesse oder Hobby mit bestimmten Themengebieten beschäftigen. Dieser Diensttypzielt nicht auf ein Massenpublikum, sondern auf kleinere Nutzergruppen mit spezialisieren Interessen.Generell werden Zeitungen hier inhaltlich nicht mit Fachmagazinen konkurrieren können.Ihre Aufgabe liegt eher darin, einführende Übersichten und kommentierte Verweise zu erstellen.Hier eröffnet sich ein neues Feld für Medienrezensionen 3 .Traditionell wird die Option der Individualisierung von Nachrichten hauptsächlich für professionelleZwecke in Anspruch genommen. Dabei sind wirklich individuell zugeschnittene Informationenein Luxusgut, das derzeit ausschließlich Führungskräften vorbehalten sind. Sie verfügen überdie notwendigen persönlichen Referenten und Stabsstellen, um sich ein Informationspaket “aufden Leib schneidern” zu lassen. Weniger exponierte Persönlichkeiten behelfen sich mit hochspe-1. [Bla95]2. [Brö95], S.933. Vgl. z.B. die wöchentliche Beilage OnLine der britischen Tageszeitung The Guardian14 Entwicklung einer World Wide Web Ausgabe einer Tageszeitung
zialisierten Fachinformationsagenturen, etwa in Form von Branchenbriefe, Newsletters, Fax– undClippingservices. Die Nutzer derartiger Dienste sind jedoch zumeist an einer zusammenfassendenÜbersicht von Beiträgen verschiedener Medien interessiert. Für einzelne Zeitungen ist die Einführungeines solchen Angebots wahrscheinlich nur dann sinnvoll, wenn sie über außergewöhnlicheSachkompetenz, schwerpunktmäßige Berichterstattung und exklusive Quellen verfügen.Die übermäßige Spezialisierung oder gar Individualisierung von Zeitungsangeboten entsprichtderzeit nicht den Bedürfnissen des breiten Publikums 1 . Daß sich dies zukünftig ändern könnte, istAusgangshypothese des von Jerome S. Rubin geleiteten Projekt News in the Future (NiF) am MITMedia Lab. Die geistigen Väter von NiF, Walter Bender und Nicolas Negroponte, vertreten dieAuffassung, daß die heutigen Massenmedien in Zukunft von individualisierten Informationsdienstenzurückgedrängt werden. Bender und Negroponte arbeiten an der Entwicklung von automatischenSuchprogrammen, sogenannten personal agents, die auf der Grundlage benutzerdefinierterInformationsprofile operieren. Hierzu gibt der Benutzer eine Liste derjenigen Themen und Stichwortean, die ihn interessieren. Sein “digitaler Doppelgänger” durchsucht anhand dieser Liste kontinuierlichund systematisch alle im Netz verfügbaren Informationen und überprüft sie auf ihreRelevanz für ihren menschlichen Gegenpart. Die gefundenen Dokumente werden klassifiziert undin Form einer automatisch und individuell zugeschnittenen “Zeitung” – Arbeitstitel: Digital Me –präsentiert. Fortgeschrittene Versionen dieser digitalen Doppelgänger sollen Listen mit individuellenBenutzervorlieben sogar automatisch erstellen, und zwar anhand der Auswertung von bisherangeforderten Dokumenten.Solche “persönliche Agenten” müssen auf der Grundlage von Heuristiken arbeiten, um Annahmenüber die Inhalte von Nachrichten treffen zu können. Diesem Problem wollen die Entwickler durcheinen tiefen Griff in die Werkzeugkiste der Artificial Intelligence zu Leibe rücken, z.B. mit formalerWissensrepräsentation und adaptiver Benutzermodellierung 2 . Ein solches automatisches generiertes,personalisiertes Medium wäre zwar aktuell und optional periodisch, jedoch nicht mehruniversell (vgl. Einleitung von Kap. 2.2). Auch das Kriterium der Publizität wäre nur noch sehreingeschränkt vorhanden: das personalisierte Informationspaket wird zwar öffentlich verfügbareInformationen enthalten, diese jedoch nur noch dekontextualisiert.Legt man die in der Einleitung von Kap. 2.2 genannten Kriterien von Otto Groh zugrunde, kanndas Ergebnis eines benutzerdefinierten Suchprozesses deshalb schwerlich als “Zeitung” bezeichnetwerden. Die Frage, ob dieses Konzept tatsächlich die bekannte Form der Massenmedien ablösenkann und wird, ist von Daniel Brössler ausführlich diskutiert worden 3 , ebenso die Frage, obdies wünschenswert wäre. Da dieser Autor detailliert auch auf Probleme der technischen Realisierbarkeitund mögliche gesellschaftliche Auswirkungen (z.B. die potentiellen Bedrohung derPrivatsphäre) eingeht, soll hier auf eine genauere Darstellung verzichtet werden. Selbst die Entwicklerder Digital Me scheinen hinsichtlich dieser Fragen gewisse Zweifel zu beschleichen.1. [Brö95], S.692. [Mit01]3. [Brö95], S.68–75, 80–82, 94Entwicklung einer World Wide Web Ausgabe einer Tageszeitung 15