3.1.1 Das Dokumentenmodell des WWWDie Dokumentenstruktur des WWW wird gemeinhin mit den Begriffen Hypertext– oder Hypermedia–Informationsraumumschrieben 1 . Dabei bezeichnet Hypermedia die Erweiterung vonHypertext um Multimedia–Eigenschaften 2 . Der Terminus Hypertext selbst wurde 1965 von TedNelson geprägt. Er bezeichnet “nicht–sequentiellen Text”, d.h. “Text, der nicht den Einschränkungeneiner linearen Struktur unterliegt:” 3 .Dies ist eine etwas unbefriedigende Begriffsbildung, da einerseits jeder Text qua definitionemlinear ist, andererseits auch papiergebundene Dokumente unter die gegebene Definition fallen: “Amagazine layout, with sequential text and inset illustrations and boxes, is thus hypertext. So is thefront of a newspaper, and so are various programmed books...”. 4 Das World Wide Web Consortiumdefiniert Hypertext als “Dokument, das Verbindungen zu anderen Dokumenten aufweist” 5 . Da derBegriff der “Verbindung” hierbei nicht präzisiert wird, trifft diese Definition allerdings auch auftraditionell gedruckte wissenschaftliche Veröffentlichungen mit referenzierten Quellen zu. Kuhlenversucht, Hypertext über die Kohäsivität der zur Verfügung gestellten informationellen Einheitenzu definieren, d.h., der angestrebten Kontextunabhängigkeit und Abgeschlossenheit der Informationseinheiten(chunks). Er kommt allerdings zu dem Schluß, daß eindeutige Abgrenzungen zwischenText und Hypertext nicht sinnvoll sind 6 .Der Versuch, Hypertext über Texteigenschaften zu definieren, scheint demnach wenig erfolgversprechendzu sein. Aussichtsreicher ist es, die Definition auf die technischen Möglichkeiten zurTextmanipulation abzustellen. Das besondere Merkmal von Hypertext bestünde dann darin, daßein beliebig strukturierter Korpus schriftlichen oder graphischen Materials 7 mit technischen Hilfsmittelnfür das assoziative Verknüpfen und Referenzieren der in ihm definierten informationellenEinheiten kombiniert wird. Dies erlaubt einen flexiblen Umgang mit den im Korpus enthalteneninformationellen Einheiten, d.h., deren technisch unterstützte Manipulation durch Autoren undLeser 8 .Die Idee einer Kombination von Informations– oder Wissensbasen mit technischen Hilfsmittelnzur assoziativen Verknüpfung und Manipulation geht auf einen 1945 von Vannevar Bush veröffentlichtenArtikel zurück 9 . Zwar ist die von Bush vorgeschlagene, mikrofilmorientierte MEMEX–Apparatur nie praktisch realisiert worden, doch sein bahnbrechendes Konzept wurde 1963 vonDouglas Engelbart aufgegriffen und im Rahmen seines AUGMENT–Projekts durch einen computerbasiertenPrototypen verwirklicht 10 . Bis zum Jahre 1968 wurde dieser Prototyp zu einem Werkzeugfür computer supported collaborative work (CSCW) geographisch verteilter Personen1. [Ber01]2. [Wwc95]3. ebd.4. Nelson 1987, zitiert nach [Kuh91], S.375. [Wwc01]6. [Kuh91], S. 377. [Bal94]8. [Kuh91], S.139. [Bus45]10. [Eng63]20 Entwicklung einer World Wide Web Ausgabe einer Tageszeitung
ausgebaut. 1 Die von Engelbart eingesetzten Mechanismen waren richtungsweisend für die weitereEntwicklung von Arbeitsplatzrechnern, Benutzerschnittstellen und Hypertextsystemen: als Eingabemediumwurde eine Computermaus verwendet, die Benutzeroberfläche arbeitete mit Mehrfenstertechnikund erlaubte die Integration graphischer Darstellung sowie die Verknüpfungheterogener Daten über Zeiger 2 . Die Ideen Bushs, Eisenbarts und Nelsons wurden Anfang der70er Jahre and den Xerox Computer Science Laboratories weiterentwickelt.Elemente von HypertextstrukturenAuch beim Versuch, den Begriff der Hypertextstruktur zu definieren, sieht man sich mit Schwierigkeitenkonfrontiert. In der Literatur herrscht weder über die Bezeichnung der die Struktur konstituierendenElemente noch über deren Objektbereich Einigkeit. So läßt Kuhlen die abstraktemathematische Beschreibung (relationierte Objekte, Graph) lediglich als Veranschaulichung gelten3 , ebenso den aus der Wissensrepräsentation bekannten Begriff des (semantischen) Netzwerks4 . Der von Kuhlen für Hypertextobjekte favorisierte Begriff der informationellen oderRepräsentationseinheit 5 ist aus jedoch aus Informatikersicht problematisch: er ist abhängig vomjeweils eingesetzten Hypertextsystem 6 und basiert auf Kriterien wie “kognitive Einheit” und“kohäsive Geschlossenheit”, die für eine intensionale Definition nicht weiterhelfen 7 .Wir behalten den Begriff der informationellen Einheit (IE) bei, beschränken die Definition jedochdarauf, das eine IE ein vom Hypertextsystem referenzierbares Element sein muß. Eine Hypertextstrukturwird dann aus einer Anzahl IEs (referenzierbarer Elemente) gebildet, zwischen denenVerweise bestehen können. Eine derartige Struktur kann durch einen gerichteten Graphen miteiner endlichen Anzahl von Knoten modelliert werden. Ein Knoten ist jeweils einer informationellenEinheit zugeordnet. Die Kanten des Graphen werden durch die Verweise (links) zwischeninformationellen Einheiten gebildet (vgl. Abb. 1a).a) Verweise zwischeninformationellen Einheitenb) Verweis auf informationelleEinheitinnerhalb einerHypertextseitec) Verweis auf andere Hypertextseiteals informationelleEinheitd) Verweis auf informationelleEinheit in einer anderenHypertextseiteAbb. 1: Verweise zwischen informationellen Elementen in Hypertexten1. [Bal94]2. [Kuh91], S.683. [Kuh91], S.20f4. ebd.5. [Kuh91], S.79ff6. [Kuh91], S. 84f7. [Kuh91], S 86ffEntwicklung einer World Wide Web Ausgabe einer Tageszeitung 21