Download PDF 'Alle Geschichten' - Deutsche Guggenheim
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nie etwas von Wörtern wie „Hilfsbereitschaft" oder „helfen" gehört!<br />
Zu meiner Enttäuschung muss ich feststellen, dass die anderen schon ohne mich<br />
weitergegangen sind. Schnell hole ich wieder auf. Erst jetzt bemerke ich, dass der ältere<br />
Mann - ich nenn ihn einfach mal Otto - ebenso wie ich eine Plastiktüte mit sich rumschleppt.<br />
Was bei ihm wohl drinnen ist? Bei mir sind es hauptsächlich Dinge, die man auf jeder Reise<br />
dabeihaben sollte, wie eine Klobürste (Es ist mir oft genug passiert, dass es im Hotel keine<br />
gab!), einen Wasserkocher (Ich trinke nur ganz speziellen Diätkaffee, aus Bohnen einer sehr<br />
seltenen Kaffeepflanze und da es diesen in den meisten Hotels nicht gibt, bereite ich ihn mir<br />
morgens mit Hilfe des Wasserkochers in meinem Zimmer zu), sowie einige leere<br />
Pfandflaschen, die ich dem Zimmermädchen als Trinkgeld geben kann (Das finde ich viel<br />
vernünftiger, die werden doch sowieso für ihren Job bezahlt, da muss ich denen ja nicht<br />
auch noch Unmengen an Kleingeld hinterher schmeißen! Mit Pfandflaschen ist das viel<br />
praktischer, ich würde die eh nie zurückbringen, wäre mir viel zu anstrengend, und so werde<br />
ich sie auf eine umweltfreundliche Art los und spendiere einem Menschen sogar noch<br />
etwas Geld!)<br />
Mitten hinein in meine Grübeleien über den Inhalt der Tüte von „Otto" kommt mir ein<br />
äußerst geistreicher Gedanke. Prompt bleibe ich stehen und gebe ein Stöhnen von mir, das<br />
die anderen auf mich aufmerksam machen soll. „Was ist?" – „Bist du umgeknickt?" – „Hast<br />
du deine Periode bekommen?" Mit einem schrägen Blick auf Otto, der die letzte Frage<br />
gestellt hatte, beginne ich, meinen hyperschlauen Einfall zu erläutern: „Wir laufen hier jetzt<br />
schon seit fünf Stunden umher, richtig?" Missmutiges Nicken. „Nun ja, und da frage ich<br />
mich..." Ich lege eine spannungsaufbauende Pause ein. „Jetzt sagen Sie schon!", motzt<br />
mich der eine Junge an. Etwas mehr Respekt vor dem Alter, wenn ich bitten darf! Aber in<br />
meiner unendlichen Güte fahre ich trotzdem fort: „Ich frage mich, warum wir nicht einfach<br />
ein Taxi nehmen!" Entgeisterte Blicke schlagen mir entgegen. Ja, damit hattet ihr nicht<br />
gerechnet, schießt es mir durch den Kopf. Ausgerechnet die mit diesem lächerlichen weiß-<br />
rosa Hut ist auf diese geniale Idee gekommen! (Der Hut ist übrigens nicht von mir, den hab<br />
ich in meinem Zugabteil gefunden, der lag da einfach so und... Ich werd ihn einem<br />
Zimmermädchen geben!) Der unfreundliche Typ, der mich zum Weitererzählen gedrängt hat,<br />
schnauft entnervt: „Was denken Sie eigentlich, warum wir uns nicht schon längst eines<br />
genommen haben?! Oder glauben Sie, Sie wären die einzige mit diesem Einfall gewesen?<br />
Ich hatte ihn schon vor zwei Stunden! Fakt ist, hier gibt es anscheinend keine Taxen! Nach<br />
fünf Stunden Gewaltmarsch ist uns nicht ein einziges über den Weg gelaufen! Und jetzt<br />
kommen Sie, mit dieser ach so tollen Nachricht und denken, Sie wären der Einstein der<br />
Verirrten!"