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Name: Helene Bukowski<br />

Alter: 14 Jahre<br />

Schule: John-Lennon-Gymnasium<br />

Night<br />

Es war die Nacht, in der man die Sterne zählen konnte. Die Stadt hatte sich zurückgezogen<br />

um sich ganz der Dunkelheit hinzugeben. Ohne grelle Leuchtreklamen. Ohne unbarmherzige<br />

Scheinwerfer. Ohne Straßenbeleuchtung. Alles verharrte, den Kopf in den Nacken gelegt<br />

und bewunderte das Himmelszelt. Nur die Alte hatte die Augen gesenkt. Ihren<br />

ausgemergelten Körper in die rot karierte Decke gewickelt und die faltigen Hände im Fell<br />

ihres Köters vergraben. Ganz still saß sie da, während ihr Atem weiß mit der Nacht<br />

verschmolz. Nicht weit von ihrem Nachtplatz, noch immer auf dem rauen Asphalt des leeren<br />

Parkplatzes, hatte sich mit den Tagen und Wochen Regenwasser gesammelt und eine<br />

weitläufige Pfütze gebildet. Ein Teich, dessen Schwärze eine endlose Tiefe vortäuschte. Ihre<br />

alten Augen waren auf diese unbewegte Oberfläche gerichtet, auf der sich jetzt die ganze<br />

Nacht spiegelte. Der Alten reichte dieses Bild der schlafenden Stadt. Neben ihr atmeten die<br />

beiden anderen gleichmäßig unter denn Berg an Decken, unter denen nicht einmal ihre<br />

bunten Haare hervorschauten. Sie kannte die beiden nicht. War nur mit ihnen zusammen auf<br />

den Platz gestoßen und hatte nichts dagegen gehabt, gemeinsam eine Nacht zu verbringen.<br />

An kalten Tagen war es besser, wenn man zusammenhielt. Und sie war sowieso nicht gerne<br />

allein. Deswegen auch der Hund. Auch wenn sie es nicht gerne zugab.<br />

Sie lebte schon zu lange zwischen Müll und Pappkartons, da ließ sich das Leben nicht mehr<br />

schnell ändern. Und irgendwann war ihr aufgefallen, dass sie es liebte. Liebte jeden Tag<br />

neu, den Kampf um einen Schlafplatz auszutragen. Liebte mit der Straße zu verschmelzen.<br />

Liebte nicht zu wissen was der Tag mit sich brachte. Doch sie war so alt. So alt. Was<br />

brachte ihr das Zählen von Jahren.<br />

Und plötzlich wusste sie es. Und dann legte sie doch den Kopf in den Nacken, schaute<br />

hinauf in die Endlosigkeit. Genoss die Stille. Genoss den Frieden der Nacht. Ließ das<br />

Sternenlicht auf ihren Wangen tanzen und sich von der klaren Dunkelheit liebkosen. Heute<br />

würde sie gehen. Und sie tat es. Nicht wie sonst, wenn sie sich gegen alles und jeden<br />

sträubte der sie zu etwas zwang, sondern ohne jegliche Rebellion. Streckte sie einfach die<br />

Hände aus und ging. Sie wusste, dass es diesmal der richtige Weg war. Vorsichtig machte<br />

sie einen Schritt vor den anderen. Gehüllt in die Nacht. In ewiger Dunkelheit, die keine<br />

Dunkelheit war, verschmolz sie zur Ewigkeit.

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