Download PDF 'Alle Geschichten' - Deutsche Guggenheim
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vorbeifuhr setzte ich mich auf. Das Fenster öffnete sich nur einige Zentimeter, aber das<br />
genügte, um die Öffnung der Waffe zu sehen, die auf Djamal gerichtet war. Ich stellte mir<br />
vor, seinen letzten Herzschlag zu hören als die Kugel seinen Körper durchbohrte; ich stellte<br />
mir vor, wie sein Herz für immer verstummte. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich<br />
zu Djamal eilte, aber plötzlich lag sein Körper in meinen Armen. Er schaute mich an,<br />
stammelte unverständliche Wörter, und dann sah ich, wie er aufgab. Das Licht, das immer in<br />
seinen Augen funkelte, erlosch. Ich umklammerte ihn und weinte auf seiner noch warmen<br />
Schulter. Langsam kamen Menschen aus ihren provisorischen Hütten aus Wellblech und<br />
Unrat hervor; sie standen da und starrten. Einer kam zu mir und legte seine Hand auf meinen<br />
Rücken. „Früher oder später sterben wir alle,“ flüsterte er mir zu. Ich wünschte mir, er wäre<br />
später gestorben, hätte mich nicht so alleine gelassen. Nach einer Weile kroch die Sonne<br />
über den Horizont hervor, sie schien auf die rote Pfütze von Djamals Blut. Ich richtete mich<br />
auf. Es dauerte eine Ewigkeit, Djamal zum Fluss zu tragen. Ich atmete tief ein, blickte ihn<br />
noch einmal an – Djamal, mein Bruder – und warf seinen leblosen Körper in den Strom.<br />
Warum konnte ich ihn nicht behalten; ich hätte ihn gerne im Friedhof begraben lassen, aber<br />
dafür hatte ich kein Geld. Ich wünschte mir, ich könnte sein Bett der Ewigkeit besuchen,<br />
jeden Tag, seinen Namen in Stein hauen, damit sich alle an ihn erinnern würden. Ich habe<br />
versagt; vergib mir, mein Freund.