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Vater Karl der Zweite und seine Leidenschaft zu Richard Wagner<br />
Seine Freunde positionierten meinen Vater als absoluten Kenner der klassischen Musik. Richard Wagner und<br />
Furtwängler waren seine Fachgebiete. Insider und Kenner der Oper behaupteten sogar, er hätte das absolute<br />
Musikgehör gehabt! Zu dieser Zeit gab es im Schweizer Fernsehen eine der ersten Quiz-Sendungen unter dem Titel<br />
„Dopplet oder nüt“, moderiert wurde die Sendung vom damals schönsten Mann der Schweiz, dem Mäni Weber.<br />
Vater erschien vor diesem äusserst populären Quizmaster mit dem Thema Richard Wagner zum Casting. Leider<br />
wurde die Sendung nicht realisiert, weil man beim Fernsehen der Meinung war, das Thema Richard Wagner sei zu<br />
schwer für die zu der Zeit noch spärlichen TV-Zuschauer, mit anderen Worten am Feierabend-TV nicht zumutbar.<br />
In den Sechzigerjahren brachte Vater die Musikgesellschaft Cham mit seinem Lieblingsmusikverein Helvetia<br />
Rüti-Tann zusammen. Gemeinsam und Open Air musizierten die beiden Spitzenvereine auf höchstem Niveau und<br />
vor grossem Publikum in den Parkanlagen des Hirsgartens, Cham. Es war das Classic-Spektakel, ein Konzert der<br />
Superlative, welches nicht nur die Chamer Bevölkerung sichtlich genoss. Der Anlass wurde zum Erfolg. Ohne je ein<br />
Musikinstrument gelernt zu haben, dirigierte mein Vater Karl der Zweite den mit der Auszeichnung HÖCHSTKLASS<br />
bewerteten Musikverein Hevetia Rüti-Tann vor über 1000 Konzertbesuchern, was ihm mit grossem Applaus<br />
ehrenhaft und vor Ort verdankt wurde.<br />
Meine Schulfreunde, das waren unter anderen Erich Oegger, Christian Bühlmann und Urs Fischer, um nur einige<br />
zu nennen, und ich waren sichtlich beeindruckt, aber auch stolz, jeweils mit Vater am selben Tisch gemeinsam im<br />
Kreise von Kennern der klassischen Musik sitzen zu können und dessen spannende Kommentare verfolgen zu<br />
dürfen. Es bildete sich damals einen richtigen Fanclub um Karl den Zweiten. Zum Erstaunen vieler aussenstehender<br />
Mitbürger kannte mein Vater den Stardirigenten Herbert von Karajan (geboren am 5. April 1908 in Salzburg,<br />
gestorben am 16. Juli 1989 in Aif, Österreich). Mit Karajan traf er sich jeweils an den Musikfestwochen im Luzerner<br />
Hotel Schweizerhof, wo sie sich gegenseitig zum Thema, zu den Werken von Richard Wagner ausführlich<br />
austauschten. An den internationalen Musikfestwochen in Luzern kannte man meine Eltern, den Karl mit seiner<br />
bildhübschen Rosa aus Cham. Hätte es dazumal ein JETSET gegeben, meine Eltern, das gut aussehende Paar aus<br />
Cham mit der dunkelroten Plymouth-Limousine, hätten bestimmt in diesen Kreisen verkehrt.<br />
Ebenfalls an den Musikfestwochen in Luzern lernte Vater eine Frau aus Zurzach kennen. Diese geheimnisvolle<br />
Schöne aus der Grenzstadt am Rhein trug den Namen Oberle, und sie war ebenfalls eine Kennerin der Opern von<br />
Richard Wagner. Tannhäuser war damals ihr Fachgebiet, was für Vater das sogenannte Absolute bedeutete, Frau<br />
Oberle näher kennen zu lernen. Wenige Jahre später, im September 1964, kam ich persönlich in den Genuss, die<br />
Meistersinger von Nürnberg während fünf Stunden in einer Loge der Staatsoper in Wien live erleben zu dürfen.<br />
Der Name Oberle wurde für Rosa zum Reizwort, welches meine Mutter ganz schön ins Schwitzen brachte. Diese<br />
Verehrerin begleitete Karl den Zweiten durch sein ganzes Leben bis an sein Grab. Seit seinem Todestag, dem 6.<br />
Juni 1973, ist Frau Oberle spurlos verschwunden. Ein schöner Kranz, bestückt mit roten Rosen und mit beschrifteter<br />
Schleife von Frau Oberle, die an diesem Tag von ihrer Tochter begleitet wurde, schmückte als letzte Erinnerung<br />
Vaters Ruhestätte auf dem Friedhof Kirchbühl in Cham. Für meine Familie hinterlassen die Anwesenheit der beiden<br />
Frauen und die Geste mit dem Kranz bis heute ein grosses Fragezeichen. Vater starb mit nur 57 Jahren genau dort,<br />
wo er am 29. Dezember 1916 geboren wurde, im Spital Cham an Krebs.<br />
Die Eigenheiten von Karl dem Zweiten, die jeder im Dorf kannte.<br />
Wenn Vater jeweils seine Nase putzte, erschrak die ganze Nachbarschaft, sein Luft- und Atemorgan war extrem laut!<br />
Die geräuschintensive Zeremonie dauerte meist über Minuten. Am Bahnhof Cham war es das Erkennungszeichen seiner<br />
Anwesenheit, Vater war vor Ort. Wenn sich auf der Strasse im Ennetsee eine Kolonne bildete,<br />
war bestimmt mein Vater mit einem seiner Fahrzeuge im zweiten Gang unterwegs<br />
Wer ? der <strong>Charly</strong> Lebenswerk I 97