Society 365 / 2014
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KUNST & KULTUR<br />
INTERVIEW<br />
Fotos: SOCIETY/Prochnow<br />
sprich nach den napoleonischen Kriegen,<br />
wurden bei dem Kongress alle – Sieger<br />
und Besiegte – mit absoluter Gleichberechtigung<br />
an den Tisch gesetzt. Und nur das<br />
hat einen langfristigen Frieden geschaffen.<br />
Wenn nach einem Konflikt die Sieger den<br />
Besiegten sagen, was sie tun müssen, dann<br />
hält das nie auf Dauer. Weder ein geteiltes<br />
Deutschland noch ein Kunststaat à la<br />
Jugoslawien haben gehalten. Auch beim<br />
Beispiel Ukraine muss man auf die Entwicklungsgeschichte<br />
Russlands schauen,<br />
um auf zukünftige Reaktionen schließen<br />
zu können, auch in Bezug auf die neuralgischen<br />
Punkte Transnistrien oder Königsberg.<br />
Es gibt das alte, sehr allgemeingültige<br />
Prinzip: Nur wenn man seine eigene Vergangenheit<br />
kennt, dann weiß man auch,<br />
wo die Zukunft hingeht.<br />
Wie sehen Sie derzeit die Friedensbemühungen<br />
rund um die Ukraine und<br />
Russland? Es gab ja auch ein Treffen in<br />
Wien.<br />
Das war ein unvorstellbarer Ausdruck<br />
der kompletten Fantasie- und Hilflosigkeit.<br />
Aber nicht nur das Treffen hier in<br />
Wien. Prinzipiell versucht man natürlich,<br />
einen gewissen Dialog aufrechtzuerhalten,<br />
doch aus einem Gespräch alleine<br />
wird sich nichts ergeben. Man muss auch<br />
echte Taten folgen lassen. Wenn man<br />
nicht glaubhaft kommuniziert, „hier und<br />
dort ist der Rubikon überschritten oder<br />
wird gerade überschritten, und das hat<br />
Konsequenzen“, dann braucht man gar<br />
nicht erst damit anzufangen.<br />
Wie stehen Sie zur Position Russlands,<br />
die derzeitige ukrainische Regierung<br />
nicht anzuerkennen, weil sie sie<br />
als Putschisten und als Rechtsterroristen<br />
ansieht?<br />
Die Haltung Russlands derzeit ist absolut<br />
inakzeptabel. Es hat immer das Prinzip<br />
des Nahen Auslandes in der Sowjetunion<br />
gegeben und es wird auch heute noch genauso<br />
praktiziert. Deshalb ist das, was wir<br />
momentan erleben, eine klare Schlussfolgerung<br />
daraus. Unter den heutigen Umständen<br />
ist eine solche Verhaltensweise<br />
des Kalten Krieges völlig inakzeptabel.<br />
Juristisch wie auch menschlich.<br />
Also ist das, was die Medien bei uns<br />
oft zeigen, dass das Volk in der Ukraine<br />
pro-russisch ist, nur die Meinung einer<br />
Minderheit?<br />
Putin hat vor kurzem dreihundert russische<br />
Journalisten mit einer Militärdekoration<br />
für besondere Verdienste in der Krim<br />
bedacht. Das ist mit einer ganz klaren finanziellen<br />
Besserstellung verbunden, weil<br />
es automatisch die Grundpension um 450<br />
Prozent erhöht. Da wurde ganz klar ausgesprochen<br />
und festgelegt, wie Lob und Tadel<br />
durch Putin gehalten werden können<br />
und mit welchen Mitteln eine Übernahme<br />
tatsächlich vorbereitet und gemacht wurde.<br />
Wenn ich mir anschaue, mit welchen<br />
Mitteln derzeit Russland verhindert, dass<br />
ukrainische Medien sich im südlichen und<br />
östlichen Teil der Ukraine verbreiten können,<br />
dann kann mir kein Mensch sagen,<br />
dass die Bevölkerung in Wirklichkeit so<br />
sehr für Russland wäre. Wenn dies wirklich<br />
so eine starke Mehrheit gewesen wäre,<br />
dann hätte man auch einen legalen Weg<br />
beschreiten können. Das lässt mich schon<br />
einmal zweifeln, dass es überhaupt diese<br />
Mehrheiten gegeben hat. Das ist ein Verhalten,<br />
das für einen modernen Standard<br />
völlig inakzeptabel ist, und da muss der<br />
Westen auch Konsequenzen daraus ziehen.<br />
Auch weil es sicherlich nicht im Interesse<br />
der lokalen Bevölkerung ist.<br />
Wie könnte ein Auswegszenario aussehen?<br />
Haben Sie eine Prognose für die<br />
weitere Entwicklung?<br />
Ich hatte das Gefühl, dass der Einmarsch<br />
von Hitler in das Saarland als Modell gedient<br />
hat. Das war ja genauso vorausberechnet<br />
und medial vorbereitet, und in weiterer<br />
Konsequenz können wir auch eine ähnliche<br />
Verhaltensweise erwarten.<br />
Und welche Konsequenz hat das für<br />
Europa?<br />
Diplomatisches Lavieren führt in den<br />
Verhandlungen mit Russland nicht weiter.<br />
Man muss konkrete Schritte ergreifen, um<br />
den Russen, die ich sehr gern als Partner sehen<br />
würde, zu sagen, dass gewisse Grundregeln<br />
befolgt werden müssen, wenn es<br />
zu einem zivilisierten Zusammenarbeiten<br />
und Zusammenleben kommen soll.<br />
Meinen Sie, dass die Haltung von Frau<br />
Merkel im Vergleich zu Obamas Haltung<br />
viel zu weich ist?<br />
Das ist für Obama wesentlich leichter,<br />
erstens weil er weiter weg ist und zweitens<br />
weil ihm die vitalen Energieinteressen<br />
fehlen. Ich hoffe, dass der gegenwärtige<br />
Schock tief genug sitzt, dass wir uns endlich<br />
um eine gewisse Energieunabhängigkeit<br />
in Europa kümmern. Das wird für<br />
Russland ein großes Problem werden, weil<br />
man ja eines nicht vergessen darf: Das<br />
russische Wirtschaftspotential ist – außer<br />
im Energiebereich, wo man einfach einen<br />
Hahn nach Belieben auf- oder zudreht –<br />
überhaupt nicht gewachsen. Deswegen<br />
sind auch diese Angstzustände wegen möglicher<br />
Wirtschaftsboykotte völlig unsinnig.<br />
Und welche Exit-Strategie bezüglich<br />
welcher Energieversorgung gäbe es für<br />
Europa?<br />
Es gibt kurzfristig überhaupt keine, da<br />
muss man einfach realistisch sein. In den<br />
USA ist Fracking die Praxis, und die Amerikaner<br />
haben auch viele Wege gefunden,<br />
wie man es auf umweltverträglichere Art<br />
und Weise durchführen kann. Dadurch<br />
erreichen sie bis zum Ende des kommenden<br />
Jahres 2015 ihre Gasunabhängigkeit<br />
und bis zum Jahr 2018 oder 2019 ihre<br />
komplette Ölunabhängigkeit. Damit sinkt<br />
natürlich auch das amerikanische Interesse<br />
am Nahen und mittleren Osten. Unser<br />
Interesse am Mittleren Osten ist hingegen<br />
groß und wird umso problematischer,<br />
je geringer der amerikanische Einfluss<br />
ist. Das heißt, wir werden im Laufe der<br />
nächsten Jahre ganz gewaltige Wandlungen<br />
dort sehen. Es ist noch offen, wer die<br />
dominante Kraft wird und mehr Einfluss<br />
gewinnen wird. Das ändert unsere Position<br />
als Europäer.<br />
Wie sehen Sie generell die Entwicklung<br />
Europas in den nächsten 15 Jahren?<br />
Ich bin Euro-Optimist. Insbesondere,<br />
wenn ich die gegenwärtigen Unkenrufe<br />
und das Totbeten von Europa höre, muss<br />
ich sagen: die Diskussion muss realistischer<br />
geführt werden. Europa ist ein langfristiges<br />
Projekt, das sich die letzten fünfzig<br />
Jahre sagenhaft bewährt hat. Kein Staat<br />
kann einfach aus dem Projekt aussteigen,<br />
weil die Konsequenzen viel zu gefährlich<br />
und zu schwierig für den einzelnen Staat<br />
wären. Nur werden wir uns in vielen Bereichen<br />
der europäischen Außenpolitik<br />
noch besser definieren müssen und unsere<br />
europäischen Interessen klarer zeigen<br />
müssen. Dazu bedarf es einer guten Außenvertretung,<br />
die wir momentan nicht<br />
haben. Wir haben zwar einen exzellenten<br />
diplomatischen Dienst im Rahmen der<br />
Europäischen Union, aber wir haben auch<br />
eine europäische Außenvertreterin in Catherine<br />
Margaret Ashton, die sich leider in<br />
so vielen Bereichen als völlig inkompetent<br />
erwiesen hat. Nach der Europawahl werden<br />
die Karten aber neu gemischt.<br />
Glauben Sie, dass die europäischen<br />
Staaten schon ein Europa-Bewusstsein<br />
haben?<br />
Natürlich gibt es eine gewisse Form<br />
eines Europa-Bewusstseins. Der Maastricht-Vertrag<br />
hält ganz klar fest, dass das<br />
Grundprinzip der Europäischen Union<br />
das Subsidiaritätsprinzip ist. Das ist kein<br />
politisches Prinzip, sondern da geht es<br />
wirklich um den Aufbau einer Gesellschaft.<br />
Ohne einen subsidiären Auf-<br />
➢<br />
SOCIETY 1_<strong>2014</strong> | 151