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Society 365 / 2014

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POLITIK<br />

INTERVIEW<br />

➤<br />

Ist es nicht eine Ironie, dass<br />

Edward Snowden nach Russland geflüchtet ist<br />

und die Pussy Riots in den USA Interviews geben?<br />

Es ist ein normaler Vorgang. Protestaktionen gegen<br />

bestimmte Fehlentwicklungen finden immer<br />

auf die Weise statt, dass man zur Gegenseite geht.<br />

Was halten Sie von den Enthüllungen?<br />

Ich habe die Snowden-Aktivität für ganz wichtig<br />

gehalten, denn angesichts der Möglichkeiten<br />

der Telekommunikation ist das sicher die akute<br />

Freiheitsgefährdung in unserer technischen Welt,<br />

wo wir noch überhaupt keine Antworten haben.<br />

Permanent ausspioniert zu werden, da muss man<br />

nicht George Orwell lesen, das war schon immer<br />

eine der beängstigenden Sorgen, die es gibt.<br />

Ein anderes Thema: Wie sehen Sie die Herausforderung<br />

durch den Islam?<br />

Die Präsenz des Islam ist selbst im kleinen Österreich<br />

heute eine dominante. Er ist die zweitstärkste<br />

Religion, und es gibt bestimmte geistigwertorientierte<br />

Bewegungen, die hier eine Rolle<br />

spielen. Wir müssen uns damit auseinander setzen.<br />

Es gibt hier Spannungselement zu jenen<br />

Muslimen, die sich in unserer säkularen Welt sehr<br />

schwer tun. Da haben wir es bislang versäumt,<br />

einen europäischen Islam zu unterstützen.<br />

Was verstehen Sie unter einem europäischen<br />

Islam?<br />

Das ist ein Islam mit europäischem Hintergrund,<br />

mit dem Verständnis, dass bestimmte Attribute,<br />

die zunehmend eine große Rolle spielen,<br />

wie z.B. der Heilige Krieg, die Rolle der Frau etc.,<br />

nicht jene Bedeutung haben. Die Notwendigkeit<br />

ist die, dass man die Muslime bestärkt, sich nicht<br />

von außen manipulieren zu lassen. Wir wissen,<br />

dass es Religionslehrer gibt, die extra ausgebildet<br />

werden, dann zu uns kommen und eine radikale<br />

Schiene fahren. Aber da gibt es auch Gruppen innerhalb<br />

des Islam, die sich dagegen wehren.<br />

Wie sollte sich die EU dazu verhalten?<br />

Das ist eine Verantwortung vor allem jener, die<br />

für Bildung zuständig sind. Das ist nach wie vor der<br />

Nationalstaat. Die EU selbst braucht eher eine Strategie<br />

gegenüber den verschiedenen Teilen der islamischen<br />

Welt, die sie derzeit nicht hat.<br />

Kann Österreich hier eine Rolle spielen?<br />

Bislang sind wir gut mit dem Islam zurechtgekommen.<br />

Das verdanken wir der alten Monarchie,<br />

die 1912 ein Gesetz über die Rechtsverhältnisse der<br />

Muslime erlassen hat, das heute noch gilt, und das<br />

dazu führt, dass die Artikulation und die inneren<br />

Kontrollsysteme der Muslime weitaus besser gestaltet<br />

sind als in anderen europäischen Ländern.<br />

BUCHTIPP<br />

Unsere Zeit: Vorwärts<br />

gedacht. Rückwärts<br />

verstanden<br />

Erhard Busek und Anton<br />

Pelinka analysieren das<br />

politische Geschehen mit<br />

Ironie und gnadenloser<br />

Offenheit. Sie beeindrucken<br />

mit detaillierten<br />

Geschichtskenntnissen und<br />

tiefgehenden Analysen des<br />

Weltgeschehens. Busek und<br />

Pelinka kennen einander<br />

persönlich seit fast einem<br />

halben Jahrhundert. So<br />

entsteht ein vertrauliches<br />

Gespräch zwischen Partnern,<br />

die einander in ihren<br />

Gedanken beflügeln.<br />

CURRICULUM<br />

VITAE<br />

D<br />

r. Erhard Busek ist am<br />

25. März 1941 in Wien<br />

geboren. Er promovierte<br />

an der Juridischen<br />

Fakultät der Universität<br />

Wien. Bereits seit den späten<br />

1950er Jahren ist er politisch<br />

aktiv, in den 1960er Jahren<br />

zog er in den Nationalrat ein.<br />

Seine wichtigsten politischen<br />

Funktionen waren<br />

Stadtrat in Wien, Landeshauptmann-Stellvertreter<br />

und Vizebürgermeister von<br />

Wien (1978-87), Minister für<br />

Wissenschaft und Forschung<br />

(1989-94), Bundesminister<br />

für Unterricht und Kunst<br />

(1994-95), Vizekanzler von<br />

Österreich und Bundesparteiobmann<br />

der ÖVP<br />

(1991-95). Er ist seit Mitte der<br />

1990er Jahre Vorsitzender<br />

des Instituts für den Donauraum<br />

und Mitteleuropa<br />

(IDM) und Koordinator der<br />

„Southeast European Cooperative<br />

Initiative“ (SECI). Er<br />

ist Träger zahlreicher in- und<br />

ausländischer Auszeichnungen,<br />

Autor und Herausgeber<br />

zahlreicher Bücher.<br />

Man beklagt einen Verfall der Politik. Wie sehen<br />

Sie das?<br />

Der Beruf des Politikers wird verteufelt. Die<br />

Bereitschaft der Gebildeten, in die Politik zu gehen,<br />

nimmt leider ab. Viele denken sich, ich gehe<br />

besser in ein Unternehmen, da kann ich auch<br />

etwas bewirken. Und die Bereitschaft der Politik,<br />

Leute zu akzeptieren mit einer gewissen Bildung,<br />

nimmt auch ab, weil diese Leute unangenehm<br />

sind, Fragen stellen, andere Meinungen haben,<br />

differenzieren… Die Vereinfachung in der Politik<br />

nimmt zu. Das hat auch mit den Medien zu tun.<br />

Inwiefern hat das mit den Medien zu tun?<br />

Ich erlebe Fernseh- und Rundfunkleute, die zu<br />

mir sagen: Sie haben fünfzig Sekunden – sagen<br />

Sie das in einem Satz! Meine Antwort ist immer,<br />

es gibt Dinge, die kann man nicht in einem Satz<br />

sagen. Die ökonomische Situation vor allem der<br />

Printmedien ist die, dass sie kein Geld mehr haben<br />

für gute Journalisten.<br />

Wie sehen Sie die Entwicklung bezüglich der<br />

elektronischen Medien?<br />

Wir müssen in den elektronischen Medien erst<br />

lernen, wie man normal miteinander redet und<br />

diskutiert. Es gibt einen Aristoteles-Satz, den ich<br />

sehr liebe: Die Demokratie reicht nur so weit wie<br />

die Stimme ihres Herolds. Wenn ich den anderen<br />

nicht verstehe, gibt es keine Demokratie. Das<br />

muss in den neuen Medien, die erst sehr kurz existieren,<br />

überhaupt erst entstehen.<br />

Abschließend: Wenn Sie Berater von Obama<br />

wären – was würden Sie ihm raten?<br />

Er hat es in der ersten Wahlkampagne sehr gut<br />

verstanden, in die Öffentlichkeit zu gehen. Das<br />

macht er jetzt zu wenig. Ich würde daher raten,<br />

stärker mit den eigenen Vorstellungen in die Öffentlichkeit<br />

zu gehen.<br />

Was würden Sie Putin raten?<br />

Er muss nachdenken, wer nach ihm kommt<br />

und welche politischen Strukturen tragfähig sind.<br />

Die ständig wechselnden Parteien, die Putin gründet,<br />

tragen nicht dazu bei. Hier muss man die zivile<br />

Gesellschaft stärken. Schritt für Schritt dem<br />

näher zu kommen, wäre schon gut.<br />

Wie sehen Sie die EU in zehn, zwanzig Jahren?<br />

Das hängt davon ab, ob sich die politischen Führungen<br />

der Mitgliedstaaten entschließen, die EU<br />

auch wirklich zu wollen und ihre Egoismen hintanzustellen,<br />

die ihnen ohnehin nichts bringen. An sich<br />

bin ich gegenüber dem europäischen Projekt sehr<br />

positiv, weil das für meine Generation ein ungeheurer<br />

Fortschritt ist. Wenn Sie im Krieg geboren sind,<br />

ist das, was bislang daraus geworden ist, einfach<br />

großartig. Wir haben für die Zukunft alle Chancen<br />

aber auch Herausforderungen und jede Menge offene<br />

geografische Bereiche vom Balkan über Türkei,<br />

Ukraine, Russland, Zentralasien und den arabischen<br />

Frühling. Wir haben keine Bodenschätze, daher werden<br />

wir schauen, dass wir im Bereich Forschung und<br />

Technologie eine gewisse Kraft behalten. Und die Art<br />

des Umgangs mit den anderen Teilen der Welt wird<br />

die große Herausforderung.<br />

•<br />

70 | SOCIETY 1_<strong>2014</strong>

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