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architektur Fachmagazin Ausgabe 5 2019

gruene Architektur - Architektur Fachmagazin - Architekten - 2019 - Projekte - gruener Leben - Naturmaterialien - Planer - Ingenieure - Lesen - Zeitschrift - Bau - Interior Design - Sanitär - Baustoffe - Licht

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<strong>architektur</strong> FACHMAGAZIN<br />

66<br />

Grüne Architektur<br />

Am 15. April <strong>2019</strong> erlebten die Pariser Bürger eine<br />

Katastrophe und die Kathedrale Notre-Dame, die seit<br />

Jahrhunderten über die christliche und westliche<br />

Kultur gewacht hatte, beinahe ihr Ende. Ein Feuer<br />

zerstörte das Dach über dem Hauptschiff, ein Teil der<br />

Gewölbe stürzte sogar ein. Das Feuer war noch kaum<br />

gelöscht, begannen schon einige Architekten und<br />

Büros mit der medialen Publikation von Vorschlägen<br />

für den Wiederaufbau.<br />

Die verschiedensten Visionen tauchten auf, von einem<br />

Penthouse für Quasimodo, einem mehrgeschossigen<br />

Parkhaus, einer McDonald´s Filiale bis zum<br />

Schwimmbecken auf dem Dach der ehrwürdigen<br />

Dame reichten sie. Stahl und Glas waren die bevorzugten<br />

Baumaterialien der eingereichten Entwürfe.<br />

Der französische Senat allerdings ließ verlauten,<br />

dass die Notre-Dame in ihrem „zuletzt bekannten<br />

Zustand wieder aufgebaut werden müsse“. Man wird<br />

also sehen, ob sich Denkmalschützer, Konservative<br />

und Utopisten auf einen Nenner einigen können.<br />

Ein Vorschlag kam auch von dem – für seine utopischen<br />

und grünen Visionen bekannten – Architekten<br />

Vincent Callebaut. Seine Vision liegt auf jeden Fall<br />

im Trend: Der Projektname „Palingenesis“ steht in<br />

diesem Zusammenhang für Wiedergeburt, Wiedererschaffung<br />

nach einer Katastrophe und würde es also<br />

den Bewahrern recht machen. Seine Idee, das Dach<br />

der Kathedrale mit einem naturähnlichen Wald zu<br />

bepflanzen entspricht den derzeitigen Bemühungen<br />

um „grüne Architektur“. Die momentane Identifikationskrise<br />

der Kirche und die Klimakrise verlangen beide<br />

nach Reaktionen, die in diesem Fall eine direkte<br />

Folge der derzeitigen Herausforderungen sein können.<br />

Die Kirche muss sich genauso wie die Architektur<br />

neu positionieren, es kann nicht so weiter gehen<br />

wie gehabt.<br />

Callebaut trachtet nun in seinem Vorschlag der Rekonstruktion<br />

der Notre-Dame sowohl Fragen der<br />

menschlichen Intelligenz, der zeitgenössischen<br />

Geschichte aber auch die der Wissenschaft, Kunst,<br />

Transzendenz und Spiritualität zu vereinen. Sein Projekt<br />

vertritt die Symbolik einer Resilienz und einer<br />

ökologischen Zukunft in der Stadt. Er verordnet Paris<br />

sozusagen einen Cocktail aus Biomimetik und Biomimicry,<br />

der sich hier als allgemeine Ethik für eine faire,<br />

symbiotische Beziehung zwischen Mensch, Stadt<br />

und Natur offenbart.<br />

Ein aus Ökoressourcen entstehender neuer Turm, als<br />

Beispiel einer spirituellen Anbetung, versucht sich<br />

mit dem ehrwürdigen, steinernen Kirchenschiff zu<br />

verbinden, sich mit ihm wie ein vegetativer Baumsteckling<br />

zu verschmelzen. Eine einzige gebogene<br />

Kurve soll alles zu einer Einheit zusammenfassen –<br />

Dach und Turm. Von den vier Giebelwänden ausgehend<br />

gleicht sich die Konstruktion an die ehemalige<br />

Höhe an und steigt gegen den Vierungspunkt dann<br />

in einem 55-Grad-Winkel an, um den zentralen Turm<br />

zu bilden. Auf diese Weise werden die vorgegebenen<br />

Prinzipien der Lastabtragung des Bauwerks auf die<br />

Strebebögen und die innen liegenden Pfeiler eingehalten<br />

und die vier Dachlinien der Firste vereinen<br />

sich in einem eleganten, parametrischen, gegen den<br />

Himmel ragenden Turm in einer leichten Geometrie.<br />

Die Konstruktion soll aus kreuzweise verleimten<br />

Holzbalken, die mittels Glasfaserstäben vorgespannt<br />

sind, errichtet werden. Das neue Rahmenwerk aus Eiche<br />

versucht, mit einem minimalen Materialaufwand<br />

auszukommen, um den ökologischen Fußabdruck so<br />

gering wie möglich zu halten und gleichzeitig eine<br />

größtmögliche Transparenz für die Kathedrale zu<br />

generieren. Diese Durchlässigkeit, das Teilen und die<br />

Öffnung zur Gesellschaft sind die grundlegenden Entwurfskriterien<br />

für diesen diaphanen Wald auf der Notre-Dame<br />

– sie sollen auch das neue Erscheinungsbild<br />

der Kirche im 21. Jahrhundert ausmachen. u<br />

Ulf Mejergren Arkitekter<br />

Swimmingpool auf der Notre-Dame<br />

whocaresdesign<br />

Penthouse für Quasimodo

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