architektur Fachmagazin Ausgabe 5 2019
gruene Architektur - Architektur Fachmagazin - Architekten - 2019 - Projekte - gruener Leben - Naturmaterialien - Planer - Ingenieure - Lesen - Zeitschrift - Bau - Interior Design - Sanitär - Baustoffe - Licht
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<strong>architektur</strong> FACHMAGAZIN<br />
94<br />
Lehm als Baustoff<br />
Geformt aus Erde<br />
Als nachhaltiger und wohnbehaglicher Baustoff ist Lehm trotz eines erkennbaren<br />
Booms seit den 80er Jahren in der Architektur noch immer weit unterschätzt.<br />
Dabei handelt es sich bei der reichlich vorhandenen Mischung aus Sand, Schluff<br />
und Ton um einen der ältesten Baustoffe, den die Menschheit kennt. In unseren<br />
Breiten stammen die Lehmvorkommen zumeist aus der Eiszeit. Gestein, von Gletschern<br />
zu Löss und Sand zerrieben, wurde durch Flüsse verfrachtet und vom Wind<br />
zu Ablagerungen verweht.<br />
Text: Linda Pezzei Fotos: Emanuel Dorsaz, Laura Egger<br />
Um Lehm am Bau sinnvoll einsetzen zu<br />
können, gilt es, dessen bauphysikalische<br />
Eigenschaften und baubiologisches Verhalten<br />
zu verstehen. Im feuchten Zustand<br />
quillt Lehm und ist formbar, beim Trocknen<br />
schwindet er und wird fest. Lehm wirkt im<br />
Raum Luftfeuchte regulierend und konservierend<br />
auf angrenzende Holzbauteile<br />
(Stichwort Fachwerkbau). Kombiniert mit<br />
der Fähigkeit Wärme zu speichern, aber<br />
auch Gerüche und Schadstoffe zu binden,<br />
rangiert Lehm zurecht seit mehr als 9.000<br />
Jahren ganz oben in der Liste der beliebtesten<br />
Baustoffe. De facto lebt auch heute<br />
noch rund ein Drittel der Weltbevölkerung<br />
in Lehmhäusern.<br />
Als „gesunder” und ökologischer Baustoff<br />
passt Lehm nebenbei perfekt in den Geist<br />
unserer Zeit. Weiterer großer Pluspunkt:<br />
seine Vielseitigkeit und Wandlungsfähigkeit.<br />
Gebrannt kommt Lehm in Form von<br />
Ziegeln auf der Baustelle zum Einsatz. Ob<br />
als Putz, Estrich oder Farbe, im Innen- oder<br />
Außenraum, als technisches oder gestalterisches<br />
Element – Lehm ist auch ohne<br />
Brennvorgang beinahe ein Alleskönner.<br />
Bei Gestaltern steht der Lehm in Form von<br />
gestampften Schichten seit geraumer Zeit<br />
hoch im Kurs. Gestampfter Lehm ist aber<br />
nicht nur aus optischer Sicht ein echter<br />
Hingucker, es sind allen voran die positiven<br />
Eigenschaften im Bezug auf das Raumklima,<br />
die überzeugen. Im Außenbereich besticht<br />
Lehm durch seine Licht- und Farbechtheit,<br />
die sich mit dem Alterungsprozess sogar<br />
in ihrer Leuchtkraft noch verstärkt. Ein<br />
Vermoosen oder Pilzbefall sind dann ausgeschlossen,<br />
wenn die Stampflehmwände<br />
konstruktiv witterungsgeschützt sind.<br />
Die Lehmbauteile können bei Verwendung<br />
des Aushubmaterials „direkt aus der Erde”<br />
geformt werden. Erfordert eine knappe<br />
Bauzeit den Einsatz von Fertigteilelementen,<br />
wird Stampflehm modulweise und<br />
vorgetrocknet in Form von individuellen<br />
Teilelementen – auch als dünnere Stampflehmschale<br />
– auf die Baustelle geliefert und<br />
direkt verbaut.<br />
Ein weiteres interessantes Anwendungsgebiet<br />
sind Stampflehmböden. Mit ihrer<br />
heterogenen Oberflächenerscheinung<br />
und den vielen feinen Mikrorissen wirken<br />
die Böden trotz ihrer extremen Härte und<br />
Strapazierfähigkeit eher weich und lebendig.<br />
Wird der fertige Boden mit einem<br />
Diamantflächenschleifer leicht abgeschliffen,<br />
entsteht ein terrazzoähnlicher Effekt.<br />
Eine Imprägnierung mit Kasein und Wachs<br />
macht den Boden zu einem pflegeleichten<br />
Belag für den Wohnraum. Die Herstellung<br />
allerdings erfordert langjährige Erfahrung,<br />
eine Reihe an Arbeitsschritten und mehrere<br />
Wochen Zeit.