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Berliner Zeitung 01.11.2019

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18 * <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 254 · F reitag, 1. November 2019<br />

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Lokalsport<br />

„Die haben wir alle gebügelt“<br />

Der SV Stahl Hennigsdorf war der beste Rugbyverein der DDR. Das bekam nur niemand mit. Wasist aus dem 27-maligen Meister geworden?<br />

VonChristian Kattner<br />

Das Sparschwein kurzhinter<br />

dem Eingang ist eher<br />

Zierde und schützt den<br />

darunter liegenden Zettel<br />

davor, wegzufliegen. Ein Euro<br />

Eintritt steht da geschrieben. Es ist<br />

jedem Besucher eines Heimspiels<br />

des SV Stahl Hennigsdorf überlassen,<br />

ob er diesen zahlt oder nicht.<br />

Für das Zweitliga-Derby gegen<br />

Hohen Neuendorf klimpert es im<br />

Sparschwein. 200 bis 300 Fans werden<br />

an diesem Nachmittag erwartet.<br />

Gründungsmitglieder, ehemalige<br />

Spieler, Familien. „Das gab es früher<br />

eigentlich nicht so, dawar Fußball<br />

viel interessanter“, erzählt Abteilungsleiter<br />

Olaf Laetsch.<br />

Früher, das war weit vor dem Fall<br />

der Mauer. Vor beinahe leeren Zuschauerrängen<br />

spielte der erfolgreichste<br />

DDR-Verein damals im<br />

Schatten des benachbarten Stahlwerks<br />

mit der großen, weit sichtbarenWerksuhr.<br />

Und das bei dieser Titelsammlung:<br />

27 MalMeister,mehrfach<br />

DTSV-Pokal-Sieger. Das alles<br />

passierte mehr oder weniger unter<br />

Ausschluss der Öffentlichkeit.<br />

Rugby war nicht olympisch und<br />

wurde deshalb auch nicht gefördert.<br />

Diewenigen Schlagzeilen in den damaligen<br />

<strong>Zeitung</strong>en ließen so manchen<br />

Hennigsdorfer vonVerrückten,<br />

die ihren Gegenspielern Kopf und<br />

Ohren abreißen, sprechen. Frank<br />

Brosowski, der seit 1966 zum Verein<br />

gehört, musste solche Zeilen im<br />

Sportecho zu internationalen Spielen<br />

selber lesen. „Meistens nur negative<br />

Sätze“, sagt der 62-Jährige,<br />

„wenn zum Beispiel ein Spieler einem<br />

anderen das Ohr abgebissen<br />

hat, wurde immer schlecht über<br />

Rugbygeschrieben.“<br />

Typberatung in Toulon<br />

Die Wahrnehmung hat sich geändert.<br />

Heute kann Brosowski seinen<br />

Sport auch im Fernsehen verfolgen,<br />

sehen, wie England das Finale der<br />

aktuellen Weltmeisterschaft erreicht<br />

und dasTrikot an diesem Spieltag gegen<br />

Hohen Neuendorf tragen. Undenkbar,<br />

als er mit Rugby begonnen<br />

hat. Praktisch von der Straße wurde<br />

er in den Verein geholt. Eine Taktik,<br />

die schon bei der Gründung funktioniert<br />

hat. Erwin Thiesies, Gründervater<br />

und erster Trainer,ging sogar in<br />

die Kneipen des Ortes, umdie jungen<br />

Leute anzusprechen.<br />

Klaus Stieg und Gerd Scharn, 84<br />

Jahre alt, kamen so mit Rugby in<br />

Kontakt und haben viel erlebt. Noch<br />

heute sitzen sie gerne im kleinen<br />

Vereinsheim, nur wenige Meter vom<br />

Stadion entfernt, regelmäßig beisammen,<br />

betrachten die Pokale in<br />

den Vitrinen und auf den Regalen<br />

und erzählen Geschichten von früher.<br />

Von den Spielen in Hannover,<br />

Heidelberg, den Kontakten zu Vereinen<br />

in Westberlin und den Fahrten<br />

Zerreißprobe: Richtige Rugby-Shirts gehen so schnell nicht kaputt. OSTKREUZ/SEBASTIAN WELLS (4)<br />

Pyramidenbau in Liga zwei. Reden von alten Zeiten in Hennigsdorf: Heinz Michalzcyk und Klaus Stieg. Heute zählen Muskeln mehr als Masse.<br />

nach Frankreich. Vorallem das Spiel<br />

in Toulon ist Stieg in Erinnerung geblieben.<br />

Beim Empfang des Bürgermeisters<br />

hatte es Sekt, Kekse, einen<br />

Handschlag und einen kleinen Satz<br />

gegeben. „Mir hat er gesagt, dass ich<br />

für einen Rugby-Spieler ganz schön<br />

schmal bin. Aber ihr seid ja hergekommen,<br />

um Rugby zulernen und<br />

nicht, um zu gewinnen“, erinnert<br />

sich der 84-Jährige,während im Hintergrund<br />

die aktuelle Hennigsdorfer<br />

Mannschaft in Rückstand gerät.<br />

Klaus Stieg erspielte sich damals<br />

in Toulon einen 16:9-Erfolg und eine<br />

Revanche. Dass das zeitlich eigentlich<br />

nicht möglich war,daalle Spieler<br />

am Montag im Stahlwerk auf der<br />

Matte hätten stehen müssen, war<br />

kein Problem, da bei solchen Reisen<br />

immer jemand von der Partei oder<br />

Gewerkschaft dabei war. „Der hat<br />

uns gesagt, dass er das mit der Freistellung<br />

regelt“, erzählt Stieg. Daher<br />

bestritt er mit seinen Jungs noch ein<br />

zweites Spiel. Die Schmach der Niederlage<br />

wollten die Franzosen nicht<br />

auf sich sitzen lassen und holten<br />

noch schnell drei Profis dazu, um<br />

den zweiten Vergleich knapp mit<br />

11:9 zu gewinnen.<br />

Stieg war auch dabei, als 1964 bei<br />

einem Turnier in Schweden drei<br />

DDR-Nationalspieler flüchteten und<br />

es in Folge dieser Republikflucht sieben<br />

Jahre überhaupt kein Länderspiel<br />

mehr gab.Nach dem Ende dieser<br />

Strafe ging es zumindest noch in<br />

die Ostblockstaaten. Dennoch erlebte<br />

die Folgegeneration um Frank<br />

Brosowski auch dort noch gewisse<br />

Annehmlichkeiten. „Wenn wir mit<br />

der Nationalmannschaft unterwegs<br />

waren, wurde man von der Arbeit<br />

freigestellt. Da gab es zwei Wochen<br />

vorher ein Trainingslager und dann<br />

ein Turnier in Bulgarien, da war man<br />

schon mal drei, vier Wochen weg.“<br />

Ganz nebenbei konnte man sich<br />

als Rugbyspieler ausrüsten. Neben<br />

den besseren Rugbybällen waren<br />

auch Rugby-Shirts ein beliebtes Mitbringsel,<br />

da eigentlich nur mit Fußballtrikots<br />

gespielt wurde. Aber:<br />

„Wenn du Pech hattest, waren die<br />

Fußballtrikots nach einem Spiel zerrissen.<br />

Die richtigen Rugby-Shirts,<br />

die reißt du nicht kaputt, da reißt du<br />

dir eher die Fingernägel ab.“<br />

Bei Gerätschaften wie einem Gedrängebock<br />

wurde selber Hand angelegt:<br />

Er wurde im Stahlwerk gefertigt.<br />

EinExemplar ist noch heute auf<br />

der Anlage zu sehen. Benutzt wirder<br />

allerdings nicht mehr, die heutigen<br />

Spieler haben andereMöglichkeiten.<br />

Überhaupt sei das Spiel im Vergleich<br />

zu früher unglaublich schnell und<br />

athletisch geworden. „Früher ging es<br />

über Masse, heute sind es Muskeln“,<br />

sagt Frank Brosowski, „wenn man<br />

heute mal die Leute sieht: Da ist ein<br />

Spieler 2,04 Meter groß, wiegt 114 Kilogramm,<br />

aber der könnte noch bei<br />

einer B-Olympiade über 100 Meter<br />

mitsprinten. Ich möchte nicht auf<br />

solche Spieler prallen, da würde ich<br />

nicht mehr aufstehen.“<br />

Mitgliedertendenz steigt<br />

Gemeinsam mit Gerd Scharn ist er<br />

heute noch, wenn es der Körper zulässt,<br />

mit den Alten Herren im Training<br />

aktiv.Brosowski mit einer roten,<br />

Scharnmit einer goldenen Hose,die<br />

signalisiert, dass er nicht mehr körperlich<br />

attackiert werden darf. Spieler<br />

mit einer roten Hose dürfen zumindest<br />

noch leicht angegangen<br />

werden. Doch viel lieber sehen sie<br />

sich heute in der Rolle des Zuschauers.<br />

Heimspiele wie das gegen Hohen<br />

Neuendorfsind Höhepunkte für<br />

die alten Haudegen. „Die älteren<br />

Spieler sind sehr wichtig für den Verein“,<br />

sagt Abteilungsleiter Laetsch,<br />

„sie geben gerne mal Ratschläge,<br />

sind auch immer fast alle bei den<br />

Spielen da und sehr kritisch. Das<br />

Wort ’früher’hörtman öfter.“<br />

Früher hätte die Hennigsdorfer<br />

Mannschaft sicherlich auch nicht<br />

mit 21:48 wie an diesem Nachmittag<br />

gegen Hohen Neuendorf verloren.<br />

Erst recht nicht kurz nach dem Fall<br />

der Mauer. „Dahabenalle westdeutschen<br />

Vereine, der Meister, der Pokalsieger<br />

hier auf unserem Platz verloren.<br />

Die haben wir alle gebügelt“,<br />

sagt Brosowski, „aber irgendwann<br />

wurde unsere Personaldecke immer<br />

dünner.“ 2006 musste Olaf Laetsch<br />

die erste Mannschaft deshalb abmelden,<br />

es gab nur noch 80 Mitglieder.<br />

ImMoment sind es wieder 360,<br />

Tendenz steigend. „Ich bin in die<br />

Schulen gegangen, um vormittags<br />

Werbung dort zumachen“, erzählt<br />

Laetsch, „ich spreche aber auch auf<br />

der Straße Jungs an und frage,obsie<br />

nicht zum Training kommen wollen.“<br />

Wiefrüher.<br />

Christian Kattner<br />

fasziniertdie Historie des<br />

Rugbyinder DDR.<br />

UM DIE ECKE<br />

Abbruch oder Aufbruch?<br />

Derbyhopper aufgepasst!<br />

Hallo, Europa!<br />

Freunde der unfreiwilligen Komik<br />

werden sicherlich ihreFreude an<br />

dem Fakt haben, dass die an diesem<br />

Sonnabend (22.30 Uhr, Sport1) anstehende<br />

Abendveranstaltung des<br />

ziemlich heruntergerockten Sauerland-Boxstalls<br />

als Benefiz-Boxgala in<br />

Kooperation mit der, Achtung, AWR<br />

Abbruch GmbH in Koblenz stattfinden<br />

wird. Werweiß, vielleicht bietet<br />

so ein Abend ja auch Raum für eine<br />

weitereZusammenarbeit?<br />

Unter dem ebenfalls ziemlich<br />

programmatischen Titel „Fighting<br />

for future“ stehen sich zwei <strong>Berliner</strong><br />

Halbschwergewichte im Ring gegenüber.Dabei<br />

hat sich der frühereSauerland-Boxer<br />

Enrico Kölling, 29, aus<br />

Prenzlauer Berg vorgenommen,<br />

dem aktuellen Sauerland-Mann<br />

Leon Bunn, 27, den IBF-International-Titel<br />

abzunehmen.<br />

Beim Kampf um die Zukunft bleiben<br />

für Bunn weitere Fragen offen.<br />

Sein Trainer Ulli Wegner, 77, wurde<br />

von Sauerland zum 31. Dezember<br />

gekündigt. Dessen Assistent Georg<br />

Bramowski, 59, kündigte daraufhin<br />

ebenfalls bei Sauerland, zum 30. November.Ende<br />

des Jahres müssen die<br />

drei, in Berlin verbliebenen Sauerland<br />

Boxer Bunn, Albon Pervizaj und<br />

Abass Baraou das Gym imOlympiaparkräumen.<br />

Wiegeht es für sie weiter?<br />

Kann sein, dass auch sie bald einen<br />

neuen Kooperationspartner<br />

brauchen können: bestenfalls irgendeine<br />

Aufbruch GmbH. (kah.)<br />

Alles Müller, oder was? Nun, Gottes<br />

Mühlen mahlen eben langsam.<br />

Aber 2019 ist Berlin nun soweit:<br />

Derbytime, inder Fußball-Bundesliga!<br />

Gut, so wie es früher im englischen<br />

Mittelalter beim Shrovetide in<br />

Derbyshiremal war,ist’s nicht mehr.<br />

Die Zeiten sind vorbei, in denen es<br />

darum ging, mit dem Ball einen gegnerischen<br />

Mühlstein zu berühren,<br />

der etwa fünf Kilometer vomeigenen<br />

Mühlstein entfernt liegt. Aber die<br />

Zahl der Derbyteilnehmer, die an<br />

diesem Wochenende Wasser oder<br />

Bier auf die Mühlen ihrer Vereine<br />

kippen, liegt an diesemWochenende<br />

in Berlin nach Rechnungen von<br />

Lieschen Müller weit über den 1000<br />

von damals. Denn nicht nur in der<br />

Bundesliga steht ein großes Stadtderby<br />

an. In der Regionalliga Nordost<br />

bietet das Wochenende drei von<br />

diesem Schrot und Korn. Was zusammengemüllert<br />

heißt: ein echter<br />

Derbyhopper reist wie des Müllers<br />

Karren und schafft dabei vonFreitag<br />

bis Sonntag vier! Den Auftakt macht<br />

am Freitagabend (19 Uhr) Hertha<br />

BSC II –Lichtenberg 47, am Sonnabend<br />

(13.30 Uhr) geht’s bei Altglienicke<br />

– FCViktoria weiter, ehe um<br />

18.30 Uhr der 1. FC Union gegen die<br />

ersten Herthamänner kickt. Werdanach<br />

nicht zu viel Korn über Mühlsteine<br />

gießt, schafft am Sonntag<br />

(13.30 Uhr) auch noch BAK –BFC<br />

Dynamo, denn es heißt ja so schön:<br />

Ähre, wemÄhregebührt. (kah.)<br />

Bis auf die Tischtennisspielerinnen<br />

des TTCEastside sind <strong>Berliner</strong><br />

Frauenmannschaften, die sich<br />

sportlich auf europäischer Ebene<br />

messen, rar. Im ersten Jahr ihres Bestehens<br />

haben sich nun die Wasserballerinnen<br />

der Wasserfreunde<br />

Spandau 04 als deutsche Meisterinnen<br />

für die Euroleague qualifiziert<br />

und damit den europäischen Zirkel<br />

erweitert. „Wir möchten unsereVorreiterrolle,<br />

die wir seit 30 Jahren im<br />

Herrenbereich ausfüllen, auf den<br />

Damenwasserball ausweiten. Und<br />

natürlich ist diese Mannschaft auch<br />

eine Bereicherung für die Sportstadt<br />

Berlin“, sagt Vereinspräsident Hagen<br />

Stamm. Noch bis Sonntag findet das<br />

viertägige Vorrundenturnier in der<br />

Schwimmhalle in Berlin Schöneberg<br />

am Sachsendamm mit Teams aus<br />

Spanien, Italien, Ungarn und der<br />

Slowakei statt. Die besten drei<br />

Mannschaften qualifizieren sich für<br />

die nächste Runde.<br />

Stamms Sohn Marko, der die<br />

Wasserballerinnen trainiert, hat vor<br />

der ersten Partie am Donnerstag gegen<br />

die Spanierinnen von CNMediterrani<br />

festgestellt:„Es sind natürlich<br />

alle Mädels vor dem ersten Spiel auf<br />

europäischer Bühne aufgeregt.“<br />

Am Freitag spielen die Spandauerinnen<br />

(19 Uhr) gegen SG Olympia<br />

aus der Slowakei, am Sonnabend (18<br />

Uhr) gegen Plebiscito Padova aus Italien<br />

und am Sonntag (11.30 Uhr) gegen<br />

BVSC Zuglo aus Ungarn. (kah.)

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