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Marbacher Magazin 148: Der Wert des Originals

Das 2014 erschienene Marbacher Magazin von Heike Gfrereis und Ulrich Raulff mit einem Essay von Gottfried Boehm ist leider vergriffen. Wer nichts verpassen möchte, der kann die Reihe der "Marbacher Magazine" abonnieren: https://www.dla-marbach.de/fileadmin/shop/Abo-Formular_2019.pdf

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Kant dachte die das Original kennzeichnende Abweichung von der Regel,<br />

naheliegenderweise, innerhalb seiner Philosophie <strong>des</strong> Bewusstseins bzw.<br />

der Subjektivität. Das hat unmittelbare Auswirkungen auf die Struktur seiner<br />

Theorie, in der ein sehr spezifisches Subjekt die Hauptrolle spielt, wenn es<br />

darum geht, Originalität zu verstehen. Dieses Subjekt ein Genie zu nennen,<br />

heißt von Versatzstücken der alten ingenium-Lehre Gebrauch zu machen,<br />

zu der neben den Musen auch Platos Daimonion zählt, gibt ihnen jetzt<br />

aber einen ganz neuen Stellenwert. <strong>Der</strong> Sachgehalt ›Original‹ lässt sich aus<br />

dem Faktum eines originalen Subjektes nicht <strong>des</strong>halb erklären, weil es dank<br />

seiner Hände sein Verursacher ist. Um eine mechanische Kausalität von<br />

Ursache und Resultat handelt es sich nicht. Was dieses Subjekt statt<strong>des</strong>sen<br />

auszeichnet, ist mehr: Es erweist sich als das Sprachrohr der Natur. Es ist<br />

das Genie, das es ist von Geburt an, und keine Erziehung wäre imstande es<br />

ihrerseits hervorzubringen. Die Natur manifestiert sich jetzt als ein inneres<br />

Organ, auf das der Künstler hört, ohne dass das, was er tut, ihm selbst<br />

zugänglich und beschreibbar wäre. Natur ist auch nicht jene äußere Folie,<br />

auf deren Vorbildlichkeit sich die alte Nachahmungslehre, während Jahrhunderten,<br />

gestützt hatte. Natur ist statt<strong>des</strong>sen ein eingeborenes Potenzial,<br />

das sich poietisch ausagiert. Sicheres Zeichen der Präsenz jener außerordentlichen<br />

Gabe ist das Original, das zwischen Regel und Abweichung die<br />

Mitte hält. Kant kämpfte mit dem beunruhigenden Problem <strong>des</strong> »originalen<br />

Unsinns« und er gedachte es zu bewältigen, indem er auf der Exemplarität<br />

<strong>des</strong> Originalwerkes beharrte, seiner Zugehörigkeit zu einem Horizont gesellschaftlicher<br />

Verbindlichkeiten, den er Geschmack nannte und als Ausdruck<br />

eines allen zugänglichen Gemeinsinns definierte.<br />

Kants Theorie <strong>des</strong> <strong>Originals</strong> ist auch <strong>des</strong>halb bemerkenswert, weil er sich<br />

damit selbst ins Wort fällt. Denn zuvor hatte er, in der Kritik der reinen<br />

Vernunft, gerade ausführlich dargetan, dass man von jener Natur, einem<br />

wesenlosen und erkenntnisfernen »Ding an sich«, nichts wissen kann.<br />

Jetzt aber tritt die Natur aus ihrer theoretischen Reserve und gewinnt in den<br />

Originalen eine Stimme, die im kulturellen und historischen Raum geformt<br />

und gehört wird.

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