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Marbacher Magazin 148: Der Wert des Originals

Das 2014 erschienene Marbacher Magazin von Heike Gfrereis und Ulrich Raulff mit einem Essay von Gottfried Boehm ist leider vergriffen. Wer nichts verpassen möchte, der kann die Reihe der "Marbacher Magazine" abonnieren: https://www.dla-marbach.de/fileadmin/shop/Abo-Formular_2019.pdf

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10<br />

»Wenn ich mal richtig ICH sag«: Peter Rühmkorfs Selbstporträts von<br />

1988 im Manuskript zu Selbst III/88.<br />

68<br />

J AN BÜRGER<br />

Über 700 Blatt für ein Gedicht, immer wieder neue Ansätze, Partikel,<br />

Skizzen, entstanden in Restaurants, in Kneipen, im Intercity, vor allem<br />

aber zu Hause in Hamburg-Oevelgönne. Unten flanieren Touristen,<br />

Rentner, Studenten. Er aber sitzt ein paar Meter über ihnen in der Dachkammer<br />

eines alten Kapitänshäuschens, um endlich einmal wieder richtig<br />

ich zu sagen. Richtig, ichtig, originell. Tagein, tagaus sitzt der Dichter,<br />

der Ichter Peter Rühmkorf da – Blick über die Elbe, das Wummern der<br />

Hafenkräne als Orgelpunkt – an der Schreibmaschine, ein paar Becher<br />

mit Füllern und Filzern daneben, Tinten in allen Farben, um herauszufinden,<br />

wie man als Dichter richtig ich sagen kann. Leben – ein Entblößungsversuch.<br />

Endlich, zu seinem 60. Geburtstag will er allen zeigen,<br />

welche Fülle an ›Originalen‹ die Voraussetzung ist für die Originalität<br />

seiner ›Artistik‹. Selbst III/88 heißt das Gedicht, in bewusster Anlehnung<br />

an alle Rembrandts und Beckmanns dieser Welt, an die Großmeister <strong>des</strong><br />

gemalten Selbstporträts. In noch nie dagewesener Weise lässt Rühmkorf<br />

alle Vorstufen reproduzieren und zwischen zwei Buchdeckel binden: mehr<br />

als 700 Seiten Faksimiles. Diesem Ungetüm von einem Buch versieht<br />

er schließlich mit dem vieldeutigen Untertitel Aus der Fassung.<br />

Rühmkorf schrieb mehrere Selbstporträts, und keines von ihnen kam<br />

ohne Selbstironie aus, was allein schon daraus folgte, dass er sich stets<br />

als multipel empfand: Auf den Spuren von Gottfried Benn übte er sich als<br />

Dichter im Doppel- und Mehrfachleben. Die Pseudonyme bildeten eine<br />

kleine Familie: Schon als Student betrieb Rühmkorf alias ›Leslie Meier‹<br />

seinen gefürchteten »Lyrik-Schlachthof«, und im Gewand <strong>des</strong> stets etwas<br />

melancholischen ›Leo Doletzki‹ feierte er 1989 noch ein spätes Comeback<br />

– in dem Gedicht Selbst III/88 (wo sonst?), das man getrost als eines<br />

seiner Hauptwerke betrachten kann. Auch <strong>des</strong>halb ließ er <strong>des</strong>sen Vorstufen<br />

reproduzieren, vervielfältigen und in die Buchhandlungen ausliefern.<br />

G ENIE UND ICH

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