29.12.2020 Aufrufe

Marbacher Magazin 148: Der Wert des Originals

Das 2014 erschienene Marbacher Magazin von Heike Gfrereis und Ulrich Raulff mit einem Essay von Gottfried Boehm ist leider vergriffen. Wer nichts verpassen möchte, der kann die Reihe der "Marbacher Magazine" abonnieren: https://www.dla-marbach.de/fileadmin/shop/Abo-Formular_2019.pdf

Das 2014 erschienene Marbacher Magazin von Heike Gfrereis und Ulrich Raulff mit einem Essay von Gottfried Boehm ist leider vergriffen. Wer nichts verpassen möchte, der kann die Reihe der "Marbacher Magazine" abonnieren: https://www.dla-marbach.de/fileadmin/shop/Abo-Formular_2019.pdf

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

F RANZ-J. L EITHOLD<br />

Swetlana Geier übersetzte mehr als 50 Werke der russischen Literatur<br />

ins Deutsche. Viel beachtet und durch zahlreiche Preise ausgezeichnet<br />

waren ihre Neuübersetzungen der großen Romane Fjodor Dostojewskis,<br />

denen sie ihre Schaffenskraft seit 1993 bis zu ihrem Tod im Jahr 2010<br />

widmete.<br />

Für Swetlana Geier bestand eine wesentliche Voraussetzung <strong>des</strong> Übersetzens<br />

darin, »den Atem eines Textes« zu spüren, um so die sprachlichen<br />

und stilistischen Eigenarten eines Autors adäquat wiedergeben zu können.<br />

Eine gelungene Übertragung sei diejenige, die man als solche nicht<br />

wahrnehme. Damit argumentierte sie ganz im Sinne Wilhelm von Humboldts:<br />

»Solange nicht die Fremdheit, sondern das Fremde gefühlt wird,<br />

hat die Uebersetzung ihre höchsten Zwecke erreicht«.<br />

Eine Übersetzung ist immer der Versuch einer größtmöglichen Annäherung<br />

an das Original, eine Vermittlung zwischen Autor und Leser.<br />

Andrej Sinjavskij konstatierte bei der Verleihung <strong>des</strong> Leipziger Buchpreises<br />

zur Europäischen Verständigung in seiner Laudatio auf Swetlana Geier<br />

im Jahr 1995: »<strong>Der</strong> Übersetzer ist uns allen als guter Engel geschickt.<br />

In unserer zerklitterten Welt stellt er Einvernehmen und gegenseitiges<br />

Verständnis zwischen Schriftstellern und Lesern her, er vermittelt zwischen<br />

Kulturen und Völkern.«<br />

Swetlana Geier entwickelte eine ganz eigene Art zu übersetzen. Nachdem<br />

sie mehrfach das Original gelesen und beinahe auswendig gelernt hatte,<br />

diktierte sie ihrer Sekretärin eine erste Fassung in die mechanische<br />

Reiseschreibmaschine. Gemeinsam mit einem Freund überarbeitete sie<br />

diese Version, feilte am Text, korrigierte mit Bleistift, grünem und rotem<br />

Farbstift. Die Korrekturen wurden dann in einem Schreibbüro ins Reine<br />

übertragen, nochmals von der Übersetzerin geprüft und dem Verlag zum<br />

Erstellen der Korrekturfahnen zugeschickt.<br />

Die Manuskriptseiten aus der Erstfassung von Verbrechen und Strafe<br />

lassen den Schaffensprozess Swetlana Geiers eindrücklich nachvollziehen,<br />

ihr Bemühen um einen zeitgemäßen Sprachstil und den beharrlichen<br />

53<br />

N O CH EINMAL

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!