Kunstbulletin März 2021
Unsere April Ausgabe 2021, mit Beiträgen zu Eva & Franco Mattes, Dias & Riedweg, Markus Weggenmann, David Knuckey, uvm.
Unsere April Ausgabe 2021, mit Beiträgen zu Eva & Franco Mattes, Dias & Riedweg, Markus Weggenmann, David Knuckey, uvm.
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Projekten definiert wird, wurde damals aggressiv behandelt und wird mittlerweile<br />
fortschrittlicher beantwortet: Autorschaft ist nicht immer eindeutig, sie kann im Gespräch<br />
entstehen. In der Schweiz werden immer noch oft Autorschaft und Autorität<br />
verwechselt. Ohnehin haben wir unsere Werkzeuge als Künstler eher aus der Erziehung,<br />
weniger aus der Kunst. Wir haben viel von unserem Vokabular über dreissig<br />
Jahre hinweg von Jugendlichen gelernt – nicht nur vom Kunstkontext.<br />
Morgenthaler: Ich bin jetzt doch nochmal kunstkritisch-schweizerisch: Weshalb<br />
nennt ihr die am Projekt Beteiligten am Ende nur mit ihren Vornamen?<br />
Riedweg: Wir haben mit allen besprochen, wie sie erwähnt sein wollen. Zwei Jugendliche<br />
etwa haben Pseudonyme, sie bauen sich gerade eine Youtuber-Identität auf.<br />
Dias: Es mag vielleicht so aussehen, als ob wir hier etwas nicht gelöst hätten. Aber weshalb<br />
müssen wir etwas lösen, das wir gesellschaftlich noch nicht gelöst haben? Was<br />
sind wir eigentlich, wer sind wir? Wie bauen wir unser Bild auf, stellen es dar, verkaufen<br />
es? Influencer und Influencerinnen machen beispielsweise in unserer medialen Welt<br />
viel mehr Geld als wir in der Kunst oder Erziehung, indem sie eine Präsenz aufbauen und<br />
verkaufen. Wir machen eigentlich das Gegenteil, wir zeigen die Realität so nackt und<br />
fragil, wie wir sie sehen. Manchmal fehlen die Namen, weil es die Leute nicht wollen.<br />
Schön, wenn es klappt<br />
Morgenthaler: Tatsächlich sitzt ein Protagonist in eurem Video in einer Art Game-<br />
Ausrüstung …<br />
Riedweg: Die Game-Welt ist das, was den Mind-Set dieser Kids ausmacht. Die grossen<br />
Gefühle werden in Games abgehandelt. Ich will verstehen, was da los ist. Wir können<br />
nicht die ganze Jugend ersaufen lassen in einer Welt, von der wir keine Ahnung<br />
haben! Das funktioniert alles über Identifikation, über die Fähigkeit, sich in die Geschichte<br />
hineinzudenken, die Geschichte zu erzählen, sich zu erzählen. Für unsere<br />
Selbsterzählungsversuche wird dann Bertolt Brecht wichtig: immer wieder den Fluss<br />
des Narrativs brechen, sich klarmachen, dass es eine Geschichte ist. Es ist wie das<br />
Zwitschern eines Vogelschwarms. Dass wir als Gesellschaft miteinander weiterzwitschern<br />
können, dafür müssen wir unsere je eigene Geschichte in Frage stellen …<br />
Dias:… oder an die Peripherie gehen. Wir finden oft Möglichkeiten, über etwas Schwieriges<br />
zu sprechen, wenn wir an die Peripherie von Dingen schauen. Sehr viel vom Niveau<br />
einer Demokratie wird greifbar, wenn man beobachtet, wie sie mit ihren Peripherien<br />
umgeht.Was uns wirklich interessiert:Wie können wir miteinander umgehen,<br />
und wie zeigt sich das gesellschaftlich.<br />
«Am eindrücklichsten an dem Wochenende im Johann Jacobs Museum war für<br />
mich das Handlesen. Dass es im Museum um Warenwege und auch um Kaffee<br />
geht, haben wir nicht wirklich thematisiert. Wir haben gezeichnet, woher wir kommen<br />
– diese Frage ist für mich nicht neu, sie ist für mich ganz normal, ich habe sie<br />
in der Schweiz schon hunderte Male beantwortet. Die Menschen brauchen eine<br />
Erklärung – sie fragen immer so viel!» Muad Abdikadir, Zürich, 3. Februar, <strong>2021</strong><br />
FOKUS // DIAS & RIEDWEG<br />
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