Kunstbulletin März 2021
Unsere April Ausgabe 2021, mit Beiträgen zu Eva & Franco Mattes, Dias & Riedweg, Markus Weggenmann, David Knuckey, uvm.
Unsere April Ausgabe 2021, mit Beiträgen zu Eva & Franco Mattes, Dias & Riedweg, Markus Weggenmann, David Knuckey, uvm.
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Fotos und Videos, die Alltägliches, Erlebtes, Lustiges, Fragwürdiges oder Absonderliches<br />
zeigen, werden heute massenhaft produziert, ins Internet und in die sozialen<br />
Medien hochgeladen. Niemand kann sich diesem Kreislauf aus Fotografieren,<br />
Teilen oder Betrachten entziehen. Eva und Franco Mattes verfolgen und hinterfragen<br />
mit ihren Arbeiten den Stellenwert dieser Bilder in der vernetzten Gesellschaft.<br />
Auf humorvolle Art, und doch äusserst ernsthafte Themen aufgreifend, nehmen sie<br />
Besuchende ihrer Soloschau im Fotomuseum Winterthur mit auf einen Rundgang:<br />
Die Leitplanke – zuweilen auch eine Schranke – bildet ein räumlich in verschiedene<br />
Richtungen verlaufender, gelber Kabelkanal, der sämtliche Ausstellungsräume miteinander<br />
verbindet. Sinnbildlich steht dieser Kanal für den Datenstrom an Bildern,<br />
die laufend in weit verzweigte Netzwerke eingespeist oder darin übermittelt werden.<br />
Als Lebensader unserer Bildproduktion und -konsumation führt dieser Datenstrom<br />
dem Publikum, das letztlich ein weitgehend imaginäres bleibt, stetig neue Inhalte zu.<br />
Viele werden sich kaum damit befassen, welche Auswirkungen der Umgang mit<br />
digitalen Bildern auf uns und die Gesellschaft hat und welche Verhaltensweisen<br />
damit verbunden sind. Dem Künstlerduo gelingt es, abstrakte Themen, die mit der<br />
Übertragung von und der Auseinandersetzung mit digitalen Bildern verbunden sind,<br />
in den Ausstellungsraum zu überführen, sodass Besuchende selbst einmal zu Komplizen,<br />
ein andermal zu Voyeuren oder dann wieder zu Hinterfragenden werden.<br />
Aussortieren von Abgründigem<br />
Was täglich in der unüberschaubaren Bilderflut geteilt wird, ist keinesfalls immer<br />
harmlos. Content-Moderatorinnen und -Moderatoren entfernen im Auftrag grosser<br />
Internetfirmen wie Facebook, Google, Youtube oder Twitter fragwürdige Inhalte, und<br />
das oft unter prekären Arbeitsbedingungen. Billige Arbeitskräfte verrichten, unter<br />
Geheimhaltungspflicht und ohne zu wissen, für welche Internetplattform sie tätig<br />
sind, eine Arbeit, die genauso eintönig wie erschütternd ist. Sie überwachen die Inhalte<br />
in den sozialen Medien und werden gleichzeitig mit moralisch Anstössigem,<br />
Schockierendem und mit Gewalt immer neu konfrontiert. Doch automatisiert zu entscheiden,<br />
ob veröffentlichte Inhalte angemessen sind, dazu ist ein Bot, also die Maschine,<br />
nicht in der Lage. Fragen zur psychischen Belastung dieser Mitarbeitenden<br />
stellen sich ebenso wie nach den lokal und kulturell unterschiedlichen ethischen<br />
Kriterien, die für die Inhalte in sozialen Medien gelten.<br />
Die Installation ‹The Bots›, 2020, thematisiert diese ausbeuterische Auftragsmodell.<br />
In als Make-up-Tutorials getarnten Videos treten Schauspielerinnen und<br />
Schauspieler auf, die stellvertretend wiedergeben, was Content-Moderatorinnen<br />
und -Moderatoren einem investigativen Journalisten von ihren Arbeitsbedingungen<br />
berichtet haben. An der Wand geben Paneele der 2016 begonnenen Serie ‹Abuse<br />
Standards Violations› einen Einblick in geleakte Regelwerke, die bei dieser für Social-<br />
Media-Nutzende unsichtbar verrichteten Tätigkeit zur Anwendung kommen.<br />
Selbst physische Sichtbarkeit bedeutet nicht, dass es sich beim Gesehenen um<br />
das Wesentliche handelt. Ein metallisch grauer Kabelkanal bildet eine Raumskulptur<br />
26 <strong>Kunstbulletin</strong> 3/<strong>2021</strong>