Kunstbulletin März 2021
Unsere April Ausgabe 2021, mit Beiträgen zu Eva & Franco Mattes, Dias & Riedweg, Markus Weggenmann, David Knuckey, uvm.
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Gianni Motti — Ex-Position21<br />
Der Künstler Gianni Motti widmet seine Ausstellung in der<br />
Galerie Mezzanin in Genf dem Nachdenken über das System der<br />
Pandemie. Was nehmen wir davon wahr und wie verändert sie<br />
uns? Wie so oft findet er für komplexe Situationen radikal einfache<br />
Bilder und Objekte.<br />
Genf — Vor den makellos weissen Wänden der Galerie Mezzanin, unter dem klinischen<br />
Licht von Neonröhren, steht in der Mitte des Raums ein leeres Krankenhausbett.<br />
Ein Kissen, weisse Laken, zwei Infusionsflaschen. Mit dieser symbolhaften<br />
Geste berührt der Genfer Künstler Gianni Motti (*1958, Sondrino) den Kern der gegenwärtigen<br />
Pandemie-Situation. Was löst diese Covid-Grippe in unserem Körper, in<br />
unserer Gesellschaft aus? Das leere Bett – durchs Schaufenster ist es 24 Stunden zu<br />
sehen – stösst Fragen an, die das System der Pandemie beleuchten. Zwischen dem<br />
Erkennen und Behandeln von Symptomen und den Massnahmen, die verhindern,<br />
dass sie überhaupt entstehen, ist in den vergangenen Monaten eine ganz eigene Geschäftigkeit<br />
entstanden. Vor allem die politischen Vorgaben – ihrerseits basierend<br />
auf Forderungen unterschiedlichster Gruppierungen – treiben sie an. Abstandsregeln,<br />
Laden- und Restaurantschliessungen, Kurzarbeitsverordnungen, Maskenpflicht,<br />
Reisebeschränkungen und Schuldenbudgets halten uns in Bewegung. Und<br />
immer bedrängt uns zugleich die leise Sorge: Funktioniert das medizinische System,<br />
wird es uns gute Behandlung anbieten?<br />
In diesem Kontext der allgegenwärtigen Kontrolle, des merkbaren Verlustes individueller<br />
Freiheiten sowie einer Flut ungezügelter Ängste und Fantasien aller Art will<br />
dieses Bett – gefertigt in China – ein Spiegel unserer Zeit sein. Eine Zwischenstation<br />
zwischen positiv und negativ, zwischen Rettung und Sterben. Gianni Motto legt den<br />
Finger mitten in den wunden Punkt. Dort, wo es weh tut, da, wo wir traurig werden.<br />
Aus der heutigen Warte liest man möglicherweise auch eine frühe Arbeit anders,<br />
die in der kleinen Ausstellung im Kabinett der Galerie hängt: In einer Schwarzweissfotografie<br />
von 1978 sieht man den Künstler auf einem Bahngleis liegen, der Titel lautet<br />
‹Distacco›, Distanz. Das Foto dokumentiert eine Performance in St. Moritz, der<br />
Zug ist nicht zu sehen, doch die latente Gefahr ist offensichtlich.<br />
Ebenfalls im Kabinett erregt eine Bronzeskulptur unsere Aufmerksamkeit: Ein<br />
Arm hält eine Zirbennuss. Die Frucht der Sibirischen Zeder ist ein altes Symbol der<br />
Wahrnehmung und Erkenntnis und wurde schon von den Ägyptern geschätzt. Die<br />
Schuppen der Nuss scheinen immer wieder auch in Kopfbedeckungen von Buddha-<br />
Darstellungen auf. Gianni Motti reicht uns in der Bronzeskulptur ‹Evento mentale›,<br />
2020, mit der Zirbenfrucht ein Zeichen der Zuversicht und Freude. Sibylle Omlin<br />
→ ‹Gianni Motti – Ex-Position21›, Galerie Mezzanin, bis 6.3. ↗ www.galeriemezzanin.com<br />
70 <strong>Kunstbulletin</strong> 3/<strong>2021</strong>