12.04.2022 Aufrufe

Hartwig von Schubert: Nieder mit dem Krieg! (Leseprobe)

Jahrzehnte des Krieges in Afrika, auf dem Balkan, am Golf und im Nahen Osten, Krieg in der Ukraine, Krieg in Mexiko, Krieg in Afghanistan. Die USA haben sich weltweit zurückgezogen, das Vakuum füllen andere. Europa sollte sich dieser Realität stellen, um nicht immer wieder von ihr überrascht zu werden; dies aber nicht auf dem Weg zurück in die Machtspiele des 19. Jahrhunderts, sondern auf den Wegen des Völkerrechts und durch die Errichtung von und die Mitwirkung an Systemen gemeinsamer Sicherheit. Liegt aber nicht gerade das Völkerrecht am Boden? Wer glaubt noch an die UN-Charta? Christen glauben nicht an die Charta, sondern an Gott und die Macht der Nächstenliebe. Zu diesem Glauben aber gehört das Bekenntnis zu Menschenwürde und Menschenrecht und zur zivilisierenden Kraft des Völkerrechts. Die Gründe für dieses Bekenntnis werden in Hartwig von Schuberts zukunftsorientierter »Ethik politischer Gewalt« ausführlich erläutert.

Jahrzehnte des Krieges in Afrika, auf dem Balkan, am Golf und im Nahen Osten, Krieg in der Ukraine, Krieg in Mexiko, Krieg in Afghanistan. Die USA haben sich weltweit zurückgezogen, das Vakuum füllen andere. Europa sollte sich dieser Realität stellen, um nicht immer wieder von ihr überrascht zu werden; dies aber nicht auf dem Weg zurück in die Machtspiele des 19. Jahrhunderts, sondern auf den Wegen des Völkerrechts und durch die Errichtung von und die Mitwirkung an Systemen gemeinsamer Sicherheit. Liegt aber nicht gerade das Völkerrecht am Boden? Wer glaubt noch an die UN-Charta? Christen glauben nicht an die Charta, sondern an Gott und die Macht der Nächstenliebe. Zu diesem Glauben aber gehört das Bekenntnis zu Menschenwürde und Menschenrecht und zur zivilisierenden Kraft des Völkerrechts. Die Gründe für dieses Bekenntnis werden in Hartwig von Schuberts zukunftsorientierter »Ethik politischer Gewalt« ausführlich erläutert.

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

48<br />

1 Einleitung<br />

verstreuten Aussagen Cassirers – in ihrer Ausdrucks- und Bedeutungsfunktion<br />

spezifisch verbindenden Formkraft. Der Künstler widmet sich den Eigenschaften<br />

seines Materials nicht, um über sie gesichertes Wissen zu erlangen oder <strong>mit</strong><br />

ihnen technische oder ökonomische Abkürzungen zu nehmen, sondern ganz im<br />

Gegenteil, um den Raum der Wirklichkeit zu erweitern und funktional zu entgrenzen.<br />

Die Kunst befreit die Formen und Stoffe aus der Knechtschaft <strong>von</strong> Mitteln<br />

für Zwecke, sie feuert die Mittel aber auch nicht an, sich über die Zwecke<br />

zu erheben, sie bleibt in der Balance, spielt <strong>mit</strong> den Mitteln ebenso wie <strong>mit</strong> den<br />

Zwecken und versetzt den Betrachter und Teilhaber in die Rolle eines an einem<br />

Werk um seiner selbst willen beteiligten Mitkünstlers. Wer da nicht <strong>mit</strong>geht,<br />

<strong>dem</strong> entgeht nicht nur ein ästhetisches Erlebnis, sondern der verpasst jenen<br />

tiefen Blick auf Wirklichkeit, der den »Bau einer wahren politischen Freiheit«<br />

als das »vollkommenste aller Kunstwerke« begreift. 53<br />

Zu Moral und Recht: auch diese zählt Cassirer zu den symbolischen Formen,<br />

widmet ihnen aber auch ihnen keine eigene Abhandlung, ebenso wenig wie der<br />

Kunst und der Religion. Der ethische Aspekt aller Symbolisierungsprozesse<br />

zieht sich aber nicht nur durch das gesamte Werk 54 , er liegt seinem Ansatz so<br />

sehr zugrunde, dass man <strong>von</strong> einer Ethischen Philosophie sprechen kann. Cassirer<br />

sieht in allen Symbolisierungen vom archaischen Mythos bis zur modernen<br />

Technik die produktive Selbsttätigkeit des Menschen am Werk, die aber nicht<br />

nur <strong>von</strong> außen, sondern durch sich selbst bedroht ist. Bei aller stilistischen Konzilianz,<br />

die sein Werk auszeichnet und es zuweilen sogar langweilig erscheinen<br />

lässt, sollte der Inhalt jeden Leser da<strong>von</strong> überzeugen, dass hier ein Autor für die<br />

Kultur und gegen eine barbarische Antikultur kämpft, der er selbst nur unter<br />

dramatischen Umständen entrinnen konnte.<br />

Als Fazit der Rekapitulation der Kulturphilosophie Cassirers für diese Studie<br />

lässt sich festhalten: Seine Vernunftkonzeption ist erstens nicht einseitig<br />

auf Erkenntnis ausgerichtet, sondern umfasst alle symbolischen Formen. Das<br />

hat zweitens Folgen für das Konzept <strong>von</strong> Säkularität: auch sie ist nicht auf Erkenntnis<br />

allein fixiert, vielmehr bilden sich historische Ausprägungen kultureller<br />

Modernität aus im Konzert aller symbolischen Formen sowie unter Einbeziehung<br />

ihrer vielfältigen spezifischen Leistungen. Und wäre es drittens nicht<br />

möglich, sondern bloße Spekulation, die Genese jedes einzelnen Menschen und<br />

jeder menschlichen Kultur aus <strong>dem</strong> Symbol der Freiheit zu verstehen und zu<br />

mythischer Sinn können nicht geklärt werden, in<strong>dem</strong> man wissenschaftliche Rationalität<br />

als normativen Maßstab handhabt.« [Paetzold (2014 4 ): Ernst Cassirer zur Einführung,<br />

37f.; vgl. 35-38].<br />

53<br />

Schiller (1795): Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe <strong>von</strong><br />

Briefen, Zweiter Brief, 572.<br />

54<br />

Zu den möglichen Gründen dafür, dass Cassirer keine Ethik hinterlassen hat und zu<br />

den Versuchen, diese aus seinem Werk zu erheben vgl. Graeser (1994): Ernst Cassirer,<br />

108-114; Recki (1997): Kultur ohne Moral?; Schwemmer (1997): Ernst Cassirer, 127-195;<br />

Jagersma (2003): Der Status der Ethik in der Philosophie der symbolischen Formen; Recki<br />

(2004): Kultur als Praxis, 151-188; Bongardt (2012): Wider die Sprachlosigkeit.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!