12.04.2022 Aufrufe

Hartwig von Schubert: Nieder mit dem Krieg! (Leseprobe)

Jahrzehnte des Krieges in Afrika, auf dem Balkan, am Golf und im Nahen Osten, Krieg in der Ukraine, Krieg in Mexiko, Krieg in Afghanistan. Die USA haben sich weltweit zurückgezogen, das Vakuum füllen andere. Europa sollte sich dieser Realität stellen, um nicht immer wieder von ihr überrascht zu werden; dies aber nicht auf dem Weg zurück in die Machtspiele des 19. Jahrhunderts, sondern auf den Wegen des Völkerrechts und durch die Errichtung von und die Mitwirkung an Systemen gemeinsamer Sicherheit. Liegt aber nicht gerade das Völkerrecht am Boden? Wer glaubt noch an die UN-Charta? Christen glauben nicht an die Charta, sondern an Gott und die Macht der Nächstenliebe. Zu diesem Glauben aber gehört das Bekenntnis zu Menschenwürde und Menschenrecht und zur zivilisierenden Kraft des Völkerrechts. Die Gründe für dieses Bekenntnis werden in Hartwig von Schuberts zukunftsorientierter »Ethik politischer Gewalt« ausführlich erläutert.

Jahrzehnte des Krieges in Afrika, auf dem Balkan, am Golf und im Nahen Osten, Krieg in der Ukraine, Krieg in Mexiko, Krieg in Afghanistan. Die USA haben sich weltweit zurückgezogen, das Vakuum füllen andere. Europa sollte sich dieser Realität stellen, um nicht immer wieder von ihr überrascht zu werden; dies aber nicht auf dem Weg zurück in die Machtspiele des 19. Jahrhunderts, sondern auf den Wegen des Völkerrechts und durch die Errichtung von und die Mitwirkung an Systemen gemeinsamer Sicherheit. Liegt aber nicht gerade das Völkerrecht am Boden? Wer glaubt noch an die UN-Charta? Christen glauben nicht an die Charta, sondern an Gott und die Macht der Nächstenliebe. Zu diesem Glauben aber gehört das Bekenntnis zu Menschenwürde und Menschenrecht und zur zivilisierenden Kraft des Völkerrechts. Die Gründe für dieses Bekenntnis werden in Hartwig von Schuberts zukunftsorientierter »Ethik politischer Gewalt« ausführlich erläutert.

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

1.2 Kultur- und religionstheoretischer Rahmen 45<br />

Moral, Recht und auf Erkenntnis. Wie fügen sich denn die vom Mythos ausgehenden<br />

Bilder, Geschichten, Erfahrungen, Erkenntnisse und Urteile beispielsweise<br />

zu »Geschichte« im Singular zusammen? Wie geraten je für sich genommen<br />

kontingente Begebenheiten in das gemeinsame Sinngefüge etwa einer<br />

Biografie, einer Wissenschaft, einer Politik? Das geschieht in Prozessen symbolischer<br />

Kommunikation, die sich zu symbolischen Ordnungen verdichten. 49 Und<br />

die gesamte Entwicklung kann nur stabil bleiben und befreien, wenn sie kontinuierlich<br />

aufgeklärt wird. Religion kann ihre Überlegenheit aber auch dazu einsetzen,<br />

die Gläubigen zu blenden und im Mythos zu bannen.<br />

Um es noch einmal zusammenzufassen und die zwecks Typologisierung gewählten<br />

Kollektivsingulare aufzulösen: Die symbolischen Ordnungen der historischen<br />

Religionen entwickeln sich aus Mythen und dies im Zuge kultureller<br />

Evolution in zahllosen Variationen und unabhängig <strong>von</strong>einander. Wie ein Organismus<br />

seine Organe, so bilden ihre Träger die im Mythischen angelegten und<br />

dort noch eng verwobenen Potentiale aus, sondern die symbolischen Formen<br />

<strong>von</strong>einander und lassen sie <strong>mit</strong>einander kommunizieren. Die Formen differenzieren<br />

sich zum einen gegeneinander aus, zum anderen kann sich jede Form<br />

auch noch einmal in sich ausdifferenzieren, so etwa Sprache in die Fülle der<br />

natürlichen Sprachen und die Kunst in Kunstgattungen und die Literaturen in<br />

Literaturgattungen und Erkenntnis in eine Vielzahl autonomer Einzelwissenschaften.<br />

Forum und Kontext dieser Entwicklung sind die Sphären <strong>von</strong> Sprache<br />

49<br />

Der Begriff »symbolische Ordnung« findet explizit Verwendung bei strukturalistischen<br />

Autoren wie Claude Lévi-Strauss, Jacques Lacan, Ferdinand de Saussure und Clifford<br />

Geertz, er wird durch »Diskurs« ersetzt <strong>von</strong> Michel Foucault, vermieden <strong>von</strong> Pierre<br />

Bourdieu, er übernimmt Hypotheken des »objektiven Geistes« bei Hegel, schließt an den<br />

Begriff der symbolischen Kommunikation bei Norbert Elias und der symbolischen Form<br />

bei Ernst Cassirer an; bei Karl Marx und Max Weber verhilft die Aufklärung der Ökonomie<br />

der symbolischen Produktion zur Entwicklung einer Soziologie der Herrschaft; vgl.<br />

Imbusch (2017): Die friedensethische Bedeutung der Kategorie Herrschaft. Ich verwende<br />

den Begriff »symbolische Ordnung« im Anschluss an Norbert Elias im Sinne generationenübergreifender,<br />

kommunikativer Konzertierung symbolischer Formen (Cassirer) <strong>mit</strong> der<br />

Funktion, angesichts erheblicher Differenzen und Konflikte zwischen Gruppen <strong>von</strong> Menschen<br />

kollektive, bleibende Haltungen, Verhaltensweisen und Institutionen zu erzeugen, zu<br />

verbreiten und zu legitimieren. Ähnlich verfuhr <strong>von</strong> 1997 bis 2008 der SFB 537 »Institutionalität<br />

und Geschichtlichkeit« <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Ziel, Prozesse der institutionellen Gründung,<br />

Stabilisierung und Wandlung sozialer Ordnungen <strong>von</strong> der Antike bis zur Gegenwart zu<br />

analysieren; vgl. http://gepris.dfg.de/gepris/projekt/5481378 [05.11.2020]. Eine Nähe<br />

besteht auch zum Begriff der »normativen Ordnung«; vgl. Forst / Günther (2011, Hrsg.):<br />

Die Herausbildung normativer Ordnungen; Forst (2015): Normativität und Macht. In dieser<br />

Studie wird die biblische Tradition als eine Versammlung symbolischer Ordnungen<br />

herangezogen, der Begriff Religion also am Beispiel des biblischen Monotheismus erprobt.<br />

In den Funktionsbegriff der Religion trägt sie ihren Anspruch der Offenbarung ein:<br />

Die Umwandlung der Wahrnehmung der vergänglichen Welt in die einer Welt als Geburtsstätte<br />

einer neuen Welt wird <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Zeugnis <strong>von</strong> der Auferstehung des Gekreuzigten<br />

<strong>von</strong> den Toten so beschrieben, dass sie die Freiheit des Geschöpfs aus der freien<br />

Liebe Gottes begründet und da<strong>mit</strong> <strong>von</strong> jeglicher Eigensicherung entlastet.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!