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Schade

Feb 9, 2022

„Muss krank sein, gefährlich womöglich?“,

es gibt Menschen, die mit diesem Filter

auf andere sehen. Sie hoffen, die Abartigen

nicht nur aufzuspüren, sondern Belege und

Fakten aufzeigen zu können, und das scheint

ja gute Polizeiarbeit zu sein. In der Doku

über einen Vermisstenfall, welcher letztlich

mehrere kapitale Verbrechen zu Tage

brachte – der Hartnäckigkeit ehemaliger

Ermittler geschuldet, die nicht locker ließen

– berichtet einer, er habe dem Täter in die

Augen gesehen: „Kühlschrank.“ Das möchte

der Kopf einer selbsternannten Bürgerwehr

in irgendeinem Kaff gern erleben?

# Und dann Held sein

Eine Bürgerwehr hat keinen Kopf. Das ist

das Erste. Das ist eine mobbende Truppe

möchtegeiler Arschlöcher in wechselnder

Formation. Der zweite Fehler dieser Haufen

besteht darin, dass sie das Böse zunächst

provozieren müssen, um als

Retter glänzen zu können.

Ich habe nicht wenige Menschen

(und zahlreiche Details

ihrer traurigen Lebenswege) in

psychiatrischen Einrichtungen

kennengelernt. Natalie, 32 Jahre

alt, die deutlich jünger wirkt:

„Ich habe dem Polizisten auf den

Fuß getreten.“ „Da hattest du

hoffentlich Stöckelschuhe an“,

sage ich.

„Pantoffeln. Ich war im Bademantel.“

Mein Freund hat Suizid begangen,

nachdem er, auch etwa in

diesem Alter (erneut unglücklich

verliebt), abgewiesen wurde. Dem waren

bereits viele latent schizophrene Jahre vorausgegangen.

Einer dieser bedauernswerten

Menschen, die, nachdem sie erkrankten, den

Ausgang in die Normalität nicht wiederfinden.

Glücklicher dran mögen welche sein,

deren Psychosen kurz und heftig ausfallen.

Dann wirkt das typische Medikament regelmäßig

gut.

Das Mädchen, die Naive aus meinem

Bekanntenkreis, die seinerzeit nicht recht

wusste, wie umgehen mit ihm, ist heute erwachsene

Frau und selbst schwer erkrankt.

Was Normale halt so haben, die Volkskrankheit

mit dem „K“; sie rede offen darüber,

meint sie. Das fällt wohl vergleichsweise

leicht, denke ich (und sage es nicht). Auf die

Vergangenheit angesprochen lapidar: „Ich

kannte ihn nur kurz, und dann hat er sich ja

auch gleich umgebracht.“ (Haha).

Mir tut das weh, aber ich lasse es mir

normalerweise nicht anmerken.

Ich bin nicht in Pantoffeln, wenn ich

zutrete. Und durchaus bei Verstand;

ich weiß, wen ich verhaue

und warum. Tatsächlich fühle ich

mich grundsätzlich frei von Angst

heute. Ich habe auf alle wesentlichen

Fragen, die ich mir in den vergangenen

Jahren stellte, meine Antwort

bekommen. Ich bin fertig damit, die

anderen nicht? Unsere (wie ich meine

nicht selten konstruierten Zufälle des

Zusammentreffens) Begegnungen, die

ich erlebe, oft auf der selben Strecke,

sind albern wie was: Marianne, Gerd,

Helmut und der arme Willy – was wollt ihr?

„Immer in die Fresse!“, so etwa hat es Andrea

Nahles ja einmal vorgegeben, hier aber (erwartungsvoll)

andersherum, um dann „seht

ihr’s!“ sagen zu können, glaube ich.

Und es stimmt, das ist der Stil dieser Partei:

Diese Sprache versteht der einfache Arbeiter?

# Sozial

Der Mensch sei gut und hilfreich denken

viele, böse sind nur unsere digitale Marktplätze.

Sie müssten in die Pflicht genommen

werden. Die asozialen Medien wären schuld,

sagen nicht wenige: Es gibt Menschen, die

schreiben Hassmails? Das habe ich noch nie

getan. Leute verabreden sich auf „Telegram“?

Ich kenne diese Plattform und alle anderen

nur aus der Presse. Meine Freunde telefonieren

mit mir, ganz altmodisch. Es gibt Stalker,

die schreiben hunderte

Mails täglich an die Ex

– das machte ich noch

nie. Ich schrieb eine

gute Handvoll E-mail,

die nicht beantwortet

wurden. Ich fragte

Willy, Kalle, was ist los?

Ich war ihr Hanswurst

plötzlich, ach so.

Kreativ, „Malen hilft“,

das ist ein Bild.

Dann malte ich also

meinen Gewaltporno

und stellte ihn online.

Unter den Augen meiner

Frau und denen meines heranwachsenden

Sohnes malte ich drei Wochen lang die

tolle junge Frau, die einige Male zu Besuch

war, mir viel schrieb und ich ihr, und der man

riet, auf Abstand zu gehen.

Das hat eine Blase zum Platzen gebracht.

Das hat meine Ehe belastet.

Noch mehr Schuld habe ich auf mich geladen,

auf dem Parkplatz vom Supermarkt. Ich

kann das zugeben. „Er sprang über eine Hecke

aus dem Nichts“, steht (mich) belastend

in der Akte. Da ist nicht nur kein Nichts, es

gibt auch diese Hecke nicht. Ein Marktleiter

musste gehen, ein Mitarbeiter noch dazu

und der Lügner dreht feist auf: Da steht so

viel Scheiß, dass diejenigen die’s zu Papier

brachten, sich schämen sollten. Davon merke

ich nichts. Ich habe meine Strafe freudig

hingenommen, das dazu. „Ich gehe offen

damit um“, sage (frech) auch ich und bin

nicht krank.

Ich bin zufrieden.

Längst erledigt, Jahre sind vergangen.

Meine Erinnerung ist detailreich und muss

nicht aufgebauscht werden. Der Gute in diesem

Spiel (wenn es überhaupt einen gibt),

das bin ich, nicht andersherum. Ich schäme

mich nie wieder für gar nichts, so weit ist

es gekommen. Wenn so viele Menschen

so frech lügen müssen, um das gute Opfer

darstellen zu können, verdient der dümmste

Kopf von ihnen seine Kloppe, finde ich. Aber

der Fisch stinke vom Kopf, heißt es ja. So

nützt es wenig,

dem auf den

Schwanz zu treten,

auch wenn

dieser die Form

eines Kopfes

hat. Meine

Grenze; ich trat

drüber – und

kam nicht weit

genug.

# Schade

Ich färbe meine

Haare nicht,

war früher rothaarig

und bin

es noch. Das

ist ein Kalauer,

den einige

verstehen, die

ich Freunde

nenne …

:)

Feb 9, 2022 - Schade 13 [Seite 13 bis 13 ]

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