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„Das Ohr zur Welt“
Mai 5, 2022
Schenefeld ist nichts besonderes. Ein paar
Häuser stehen rum. Es fängt an, wo Lurup
aufhört. Lurup ist ein langweiliger Stadtteil,
ganz am Rand von Hamburg. Wir gehören
zum Kreis Pinneberg, sind in Schleswig-Holstein
angesiedelt. Ein besseres Kaff. Das ist
die Provinz: Blankenese geht anders. Niedrige
Wohnblöcke, Reihenhäuser und eine freie
Tankstelle „Kattner“ prägen die Gegend. Ein
schmales Rinnsal erweitert
sich an einem
Staubecken, das mit
Kraut zugewachsen
wenig Eindruck macht;
die Düpenau sucht
noch das Meer. Der
Charkter dieses nicht
so schönen Schenefeldes
will nicht recht
sichtbar werden. Immerhin,
wir haben eine
ansprechende, kleine
Kirche im Dorf.
Im Norden heißt die Gemeinde schlicht
Siedlung. Nicht weit entfernt, über einen
Kreisel, erreicht man die Autobahn in
Richtung Nordsee, Sylt, die Insel der Schönen
und Reichen, schließlich Dänemark.
Das freie Wasser erstreckt sich über den
Atlantik bis nach New York. Das sollte man
schon hinschreiben. Gut angebunden an
die weite Welt ist dieses Ende schon. Da
oben, in der Siedlung von Schenefeld, wo
es ein China-Restaurant gibt und einen
Aldi, ist eine weitere Kirche. Sie hat den
Charme einer Fabrikhalle aus Beton. Wenigstens
ein nettes Türmchen haben die
Leute in einiger Entfernung hingestellt.
Das ist, damit man die architektonische
Armseligkeit (zu der die Siedler nach dem
Krieg, Vertriebene aus dem Osten, gerade
mal fähig waren) nicht bemerken soll?
Schenefeld! Im Zentrum durchschneidet
uns eine Straße nach Pinneberg, auf der
man hundert fahren darf. In der durch die
Rasenden zweigeteilten Mitte befindet sich
tatsächlich das „Stadtzentrum“.
Das ist aber keines, sondern
diese Blechbuchstaben sind
der Name eines Einkaufszentrums.
Es hat größtenteils
Leerstand. Es gibt
einen Supermarkt, das
Fitnesszentrum und
die Haspa. Man darf
sich eine Hose kaufen
und Mittagstisch essen,
Eis. Im Tabakladen
des Einkaufstempels
– die hochtrabende
Bezeichnung im
Tageblatt amüsiert
– kannst du deine Briefe abgeben.
Der Discounter unter den Shoppingcentern
regt nicht zum Verweilen an.
Es gibt nichts, das von kaufgeilen
Wohlstandsdeutschen verzückt angebetet
würde. Ein Tempel ist es nur
für Konsumenten, welche das „Elbe“ mangels
Liquidität meiden.
Alternativ läuft man auf die alte Landstraße
bis ins Dorf zu „Timmse und die Hörspiele“.
Die nehmen auch Briefe und Pakete an. Sie
verkaufen Briefmarken. Das ist ursprünglich
ein Krämerladen gewesen, der (vermutlich
zur Existenzsicherung) sein Angebot erweitert
hat. Es gibt gebrauchte Kompaktkassetten
aus den Achtzigern, Spiele, und einiges
Zeugs von früher liegt im Schaufenster. Titel
meiner Kindheit: Hui-Buh, das Schlossgespenst,
TKKG und die drei Fragezeichen
erweitern das verstaubte Interieur einer
vergessenen Zeit. Bandsalat war gestern?
Nicht bei „Timmse“. Peng! Elektro, Kommissar
Bikloppski brennt durch; so was in der Art
möchte noch gekauft werden. Die richtige
Post, die wir einmal am Rathaus kannten, hat
dauerhaft dichtgemacht.
Da werden
Altkleider gelagert
vom „Glücksgriff“,
ein Second-Hand-
Geschäft. Wir sind
gar keine Stadt im
eigentlichen Sinne
mehr. Wie gesagt,
nur ein paar Häuser,
und die Menschen
fahren nach Hamburg
zur Arbeit. Es
gibt eine Busverbindung.
Im Dorf gehen einige auch zu Fuß. Ich
laufe hier täglich rum. Dieses Plakat, man
könnte es bemerken: Bei „Timmse“ hängt der
Aufruf, ein neues Logo samt Motto für die
Gemeinde zu gestalten. Die Bürgermeisterin
unterstreicht unsere Wichtigkeit (und ihre
eigene) gern. Ein zünftiger Schnack, das
wär’s doch. „Schenefeld, die Stadt am Stadtrand“
oder so? Dazu das Wappen in grün mit
den bekannten Schmuckelementen, Spaten
und Rad. Dazwischen eiert die Düpenau
durch oder die Landstraße-Schenefeld-
Elmshorn eben, die über Pinneberg hinaus
nie fertig gebaut wurde, Elmshorn tatsächlich
zu erreichen. Wie du das interpretieren
willst? Hammer und Sichel lassen grüßen.
Ein Logo zu entwerfen, ist eine interessante
Aufgabe. Das kam in meiner grafischen Laufbahn
einige Male vor, dass ich mich daran
versucht habe.
# Hamburg, das Tor zur Welt!
Erinnerungen
gewinnen an
Wichtigkeit
mit zunehmenden
Alter. Anfang
der Achtzigerjahre
war ich bei
Schlotfeldt
Praktikant,
eine
seinerzeit
bekannte
Werbeagentur
in der Hansastraße, Ecke Mittelweg
(beim Stadion). Gleich zu Beginn meiner
Ausbildung hatten wir „Winschermann“ zu
betreuen, die fuhren Heizöl in Tanklastwagen
zum Kunden, bekamen einen orangen
Strich auf weiß. Wir verwendeten Helvetica,
das war modern.
Das eigene Motto, unverwechselbare Zeichen,
ein Logo, Farben, ausgesuchte Formen
des Designs, bestimmte Schriften einem
Unternehmen an die Seite stellen: Corporate
Identity zu definieren, bedeutet das
gewünschte Erscheinungsbild eines Systems
oder Firma zu erschaffen. Ein Konzept, das
mittels der Werbung kommuniziert wird.
Die Stadt ist auch Auftraggeber gewesen.
Die Hamburg-Werbung kannte man mit roter
Burg in HKS 13, begleitet von Mottosätzen
„Hamburg ist Alster“ (und ähnlich) auf Blau
41. Es gab immer neue Aktionen. Einmal
machten wir ein Plakat mit Nummernschildern,
die an den Wagen auf den Straßen der
Weltstadt irgendwo fotografiert waren. So
an die zwanzig verschiedene hatten wir be-
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